5.1 - Soll ich...

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Titus

Sie ist winzig und sieht genauso aus wie auf dem Foto im Facebook: blond, ziemlich kurvig, als hätte man eine Sanduhr in enge Dreivierteljeans und ein schwarzes Oberteil gesteckt, und mit riesigen blauen Augen. Das Mädchen, das uns die Tür aufgemacht hat zu WG Nummer elf, stöckelt wie eine Barbie vor uns her, als wäre das unter ihren Füßen nicht irgendwie ziemlich echt aussehendes Parkett, quasselt ununterbrochen und scheint sich nicht entscheiden zu können, ob sie mich oder Benny mehr anstarren soll. Sie hat so breit gegrinst, als sie uns vor der Tür stehen sah, dass ich mich frage, ob sie uns wohl allein aufgrund unserer Fotos ausgesucht hat.

Und obwohl ich normalerweise sofort den Rückzug antreten würde, weil das eigentlich immer zur Katastrophe führt, gefällt sie mir irgendwie. Auch wenn ich ihren Namen beinahe sofort wieder vergesse und erst noch mal nachfragen muss, um nicht irgend einen Blödsinn zu sagen.

Tja, ich mag sie. Das liegt nicht daran, dass es mir schwer fällt, ihr nicht auf den Hintern zu starren, oder an ihren bei jedem Schritt wippenden Brüsten unter dem schwarzen Tank top mit dem Schriftzug Pin up Cutie, unter dem eine eintätowierte Rose hervorschaut, von der ich mich kurz frage, ob es sich lohnt, noch mehr davon zu sehen. Ziemlich vielversprechend, wenn man auf aufgedrehte Blondinen steht. Und aufgedreht ist sie und dazu noch ziemlich hübsch mit ihrem perfekten Make up, das genau richtig übertrieben ist, um nicht albern zu wirken. Normalerweise der Bausatz für eine Stunde Zeitverschwendung mit Frustgefahr an der Toleranzgrenze, aber obwohl ich mit dem absoluten Wissen hier her gekommen bin, dass auch WG-Angebot Nummer elf ein Reinfall werden wird, schafft sie es mit ihrem losen Mundwerk, mich irgendwie umzustimmen.

Seltsam eigentlich, normalerweise kommt zwischen so rot geschminkten Lippen nie etwas Sinnvolles heraus, aber sie ist intelligent, witzig und hat noch nicht einmal versucht, Benny oder mir ein zweideutiges Angebot zu machen, sie guckt einfach nur, und das ist nicht verboten. Sie wirkt auch nicht wie eins von diesen hilflosen Weibchen, die normalerweise zur Furie werden, wenn man sie nicht auch so behandelt.

Jacky führt uns durch die Wohnung, in der überall noch Umzugskartons und einsam wirkende Möbelstücke stehen, während sie uns erklärt, dass sie und ihre Mitbewohnerin selbst erst seit einem Tag hier sind. Eigentlich ein riesen Pluspunkt auf meiner inneren Checkliste, die ich nach WG Nummer drei angelegt habe. Ein Rattenloch schlimmer als das andere, was daran liegen kann, dass die meisten, bei denen wir uns vorgestellt haben, in unserem Alter sind und einfach noch nicht fähig, ohne Muttern als Putzfee auch nur den Fußboden zu finden. Aber hier ist alles noch unbenutzt und wie neu. Nirgendwo können hässliche Reste vom Vorgänger auftauchen.

Punkt zwei sind die Zimmer. Sie sind nicht riesig, aber tatsächlich groß genug, um all mein Zeug unterzubringen, ohne sich danach beim Umdrehen jedes mal irgendwo zu stoßen. Vielleicht muss man ein bisschen puzzeln, aber da das nicht meine erste WG wird, habe ich damit schon Erfahrung.

Und dann natürlich noch das Bad. Als Jacky uns erzählt, dass wir ein eigenes Badezimmer haben, rechne ich mit einem würfelförmigen Raum mit Klo und Waschbecken, aber es gibt tatsächlich eine gottverdammte Dusche! Manche von den Räumen, die man uns anderswo als Schlafplatz angeboten hat, waren genauso groß! Okay, vielleicht ist das übertrieben, aber Luxus ist es auf jeden Fall. Zwei Bäder. Niemals über Weiberkram stolpern und von Make up belästigt werden. Beinahe hätte ich sie gefragt, mit wem sie schlafen musste, um das hier mieten zu können, doch für den ersten Eindruck ist das vermutlich nicht so eine gute Idee.

Die Miete ist natürlich noch so eine Sache. Anderswo könnten Benny und ich ein bisschen was sparen - genug jedenfalls für eine Stange Zigaretten im Monat -, aber als ich zu Benny rüber sehe, der die Küche anstarrt, als wäre er verliebt, weiß ich bereits, dass er hier sofort einziehen würde, wenn man ihn lässt. Nicht, dass er protestiert, wenn ich mich anders entscheide. Und vielleicht tue ich das ja noch. Zusammen wohnen mit Frauen. Mit Alex war das ja schon anstrengend, selbst bevor er Jessi hatte, aber so?

"Also was jetzt?", fragt Jacky neben mir. "Ja oder ja?" Sie strahlt so breit, dass ich unmöglich nein sagen kann, selbst wenn ich wollte, aber ich versuche, mich nicht davon überzeugen zu lassen.

"Ich könnte ein Serienmörder sein", antworte ich mit bezeichnendem Grinsen, aber Jacky lacht nur und schlägt sich auf die Hüften.

"Ich bin schwer wegzutragen, aber vermutlich würde ich eine schöne Leiche abgeben." Sie sieht zu Benny zurück und ihre Lippen spitzen sich. "Dein Kumpel da ist jedenfalls einverstanden, würde ich mal sagen."

Ich zucke mit den Schultern. "Er ist leicht zu beeindrucken." Was stimmt. "Was ich gern wüsste ist, warum du uns zwei hier haben willst. Da müssen doch Millionen von Leuten sein, die dir das hier schreiend aus den Händen reißen würden."

"Ihr seid süß", sagt Jacky einfach, als wäre das ihr einziges Kriterium für Mitbewohner. Und das, obwohl ich wirklich sicher bin, dass sie nicht so hohl ist, wie man bei dieser Antwort vermuten könnte.

"Wir könnten außerdem pleite sein, Mietnomaden oder Drogendealer", halte ich dagegen, um zu sehen, wie sie reagiert.

"Oh bitte!", Jacky winkt lachend ab. "So süß seid ihr nun auch wieder nicht!" Aber sie sieht trotzdem zu Benny rüber, der sich jetzt umgedreht hat und auf uns zu kommt. Da würde sie aber eine Enttäuschung erleben.

"Wir melden uns", sage ich vage, als er stehen bleibt, und er sieht mich gleichmütig an, weil es ihm nichts ausmachen würde, wenn ich doch nein sage. Nicht viel jedenfalls. Es ist eigentlich das beste Angebot, das sich finden ließ und Jacky ist süß genug, um mich allein deshalb nein sagen zu lassen. Mit Frauen zusammen wohnen gibt immer Probleme.

Als wir wieder auf der Straße stehen, bin ich regelrecht benommen. Jacky hat uns zur Tür gebracht und es tatsächlich geschafft, noch eine Million weiterer Informationen auf der kurzen Strecke abzuspulen, als hätten wir schon den Untermietvertrag unterschrieben. Sie geht fest davon aus, dass wir zusagen, obwohl ich wirklich versucht habe, vorsichtig zu sein.

"Na?", fragt Benny. Er war nie der gesprächige Typ, selbst mit mir nicht, und wir kennen uns jetzt schon ewig.

"Mal sehen", antworte ich und er nickt einfach nur. Mehr braucht es ja auch nicht.

Ich hab genauso Angst wie duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt