Kapitel 3

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3.

Nach der Mittagspause stand Kunst an. Ich liebte Kunst und war ein riesen Comicfan, doch auch die Renaissance faszinierte mich. Ich verliess gerade das Klassenzimmer (alleine, da die Jungs noch irgendwo hin mussten), als mich ein Mädchen ansprach.

„Hey, du bist Victoria, oder? Ich bin Lindsay… Um ehrlich zu sein, ich habe dich nur angequatscht, weil du ein Green Day-Shirt anhast…“

Danke auch, jetzt werde ich auf ein Shirt, wenn auch ein cooles, reduziert

„…also, du spielst ein Instrument?“, endete Lindsay ihre Ansprache. Shit, jetzt hab ich nicht zugehört. Irgendwas mit Instrument… „Ähm, ja… Iiich… Gitarre und Ssinngeenn…“, improvisierte ich stammelnd. Man, blödes Kind, schon mal was von Grammatik gehört? Subjekt, Verb und Objekt… Ja, da war mal was…

„Hallo? Victoria, noch da?“ Lindsay wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum.

„‘Tschuldiigge, iiich bin oofft in Gedanken…“, entschuldigte ich mich. Sie lächelte nur und lotste mich durch eine Tür. Stimmt, wir hatten ja Kunst.

„Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber… Du stotterst ja, wie kannst du dann singen?“, fragte sie vorsichtig.

„Kkeein Prooblem… Naja, ssoolannge ich eeeinnen Text hhabe und hööre wiie ichs machen mmuss, kann ichs oohne stottern… Iist ffür mmich wwie eiin Instrummentt. Iiich muss es immer wieder siingen unnd höören, dann geht es.“, erklärte ich ihr. Ich hör mich an wie ein Volldepp. Was denkt sie nur von mir? Oh, da ist ja Gerard!

„Hi, Gerard!“, rief Lindsay und zog mich gleich zu ihm.

„Oh, Linny, wie geht’s? Vici, auch in Kunst?“, fragte Gerard drauf los und deutete gleich neben sich, wo es noch freie Plätze gab.

„Mir geht’s gut… UND NENN MICH NICHT LINNY!!!“

Wir setzten uns neben Gerard und die Zwei diskutierten noch eine ganze Weile hin und her, ob Lindsay nun Linny hiess oder nicht.

Mein Blick schweifte unterdessen durch das Zimmer. Ich mochte die Schulzimmer, in welchen Kunst unterrichtet wurden, sie waren immer ganz anders, als die Anderen. Auch dieses war recht schön, der Lehrer besass anscheinend ein Faible für knallige Farben und abstrakte Bilder, was mir nicht immer gefiel, doch es war gut in Szene gesetzt.

Ein Räuspern liess alle Gespräche verstummen und ich wandte mich nach vorne.

Hinter dem Lehrerpult stand eine Frau, recht jung und gut aussehend, leicht lächelnd und doch strahlte sie eine gewisse Autorität aus, welche zu einer angenehmen Stille führte.

„Ich habe gehört, dass wir eine neue Schülerin begrüssen dürfen? Wo bist du denn?“, fragte sie in den Raum und mir wurde es schlecht. Oh Gott, nicht schon wieder! Ich kann sowas einfach nicht ertragen, immer diese Aufmerksamkeit und dieses Vorstellen…

„… heisst Victoria.“, sagte eine Stimme neben mir, welche ich als die von Gerard identifizieren konnte. Er hat mich vorgestellt? Ab jetzt sah ich Gerard offiziell als Freund an! Ich wollte ihn am liebsten abknutschen, umarmen und nie mehr loslassen… Er hatte ziemlich schnell gemerkt, dass ich mich nicht vorstellen konnte und übernahm es sogar für mich!

Ein kleiner Stoss in meine Rippen unterbrach meine innerliche Lobesrede für ihn und ich fokussierte mich wieder auf die Umgebung und blickte in das Gesicht von Lindsay.

„Schau nach vorne“, wisperte sie und ich blickte, knallrot, nach vorne und versuchte mich in einem Lächeln.

„Hallo Victoria. Ich hoffe du hast an der Schule eine schöne Zeit… Und jetzt wird weitergemacht!“, sagte die Frau und ich war verwirrt. Was war das gerade? Eine Begrüssung? Ja, offensichtlich, aber ziemlich merkwürdig…

„Gerard, waas müssen wiir mmachen?“, fragte ich ihn leise und sah ihn aus grossen Augen an.

„Origami falten. Warte, ich zeig‘s dir!“, sagte er und reichte mir ein Blatt. Origami sind total cool, wenn auch eine Herausforderung für begabte Leute wie mich. Ich kann, zum Glück, einen Kranich falten, doch das war‘s dann.

Gerard faltete vor, ich faltete nach und versagte. Kichernd nahm er mir das Papier aus den Händen und knickte irgendwelches Zeugs um und erhielt, recht zerknittert, einen Fisch.

Hä? Wie? Was… wie geht sowas?

„Gegerardd, wiee ggeht daas?“, fragte ich leise.

„Gee.“, sagte er nur und ich war noch verwirrter.

„Mein Spitzname, du kannst mich Gee nennen.“ Oh, bin ich blöd. Logisch… Gerard-Gee… Ergibt Sinn…

„und du musst das so machen, schau.“, erklärte er weiter und fasste an meine Hände um sie zu führen.

Am Ender der Lektion, okay, der doppel-Lektion, hatte ich einen Fisch und einen Kranich gefaltet. Welch Hervorragende Leistung. Wahrlich talentiert… Wenn man von Gees 4 Fischen und unzähligen Kranichen absieht, schon… Ich befand mich wieder in einer dieser gedanklichen Reisen ins Nirvana, als eine Hand auf meiner Schulter landete. Automatisch hob ich meinen Kopf und blickte direkt in Mikeys Gesicht. Was zur Hölle?

„Kommst du? Normalerweise muss ich Gee aus Kunst schleifen, aber wie ich sehe bist du mein neues Opfer…“, sagte er, seinen Mundwinkel (den rechten) leicht hebend, was ich als Grinsen deutete.

Ich lächelte (beide Mundwinkel nach oben) und stand auf. Ich weiss ehrlich nicht, was mit mir los war… Normalerweise bin ich nicht so weggetreten und kann mich auch besser konzentrieren, doch heute…

Grübelnd lief ich neben ihm her und versuchte mir den Weg zu merken, damit ich auch ohne Lindsay oder Gerard zu Kunst finden konnte.

Wir verliessen zusammen die Schule und starteten den Nachhause-Weg. Hatte Mikey den selben Weg? Ich blieb stehen.

„Musst du auch hhier durch?“, fragte ich an ihn gewandt.

„Ja… In dem Fall wohnst du jetzt im Haus gegenüber?“, fragte er zurück.

„Wenn du als Haus ggegen über, ein hässliches, schwarzes meinst, dann jjaa“, sagte ich grinsend.

Er nickte wieder und sah mich dann erstaunt an.

„Du stotterst kaum.“  Ja, das war normal… Wenn ich mit einer Person sprach, bei der ich mich wohl fühlte, stotterte ich kaum. Das erklärte ich auch Mikey und wir führten unseren Weg fort.

„Dann kommst du nachher noch rüber?“, er sah mich fragend an.

Sollte ich? Nachher nerve ich nur… Nein, sonst hätte er es nicht angeboten… Aber- ich unterbrach mich selber und antwortete: „Ja, gerne!“

Er zögerte, machte eine ruckartige Bewegung mit den Armen und umarmte mich dann ganz schnell, flüsterte ein „bis gleich“ und verschwand auf der anderen Seite in einem hübschen kleinen Haus.

Das Ganze ging so schnell, dass ich weder die Umarmung, noch das „Bis Gleich“ erwidern konnte. Verdattert sperrte ich die Tür auf und trat ins Haus.

Dann also bis nachher, Mikey…

He, She, He and HeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt