Ich stand vorm Badezimmerspiegel. Betrachtete mich.
War es nicht der Wahnsinn, dass es mich gab? Genauso, wie ich aussah? War das nicht verrückt? Und allein die Tatsache, dass ich mich sehen konnte, mein Gesicht mit den Fingern entlang fahren konnte, machte das alles so unglaublich faszinierend!
Ich konnte fühlen. Schmerzen. Wärme. Kälte. Gefühle. Mein Gewissen.Ich konnte mein Herz spüren. Konnte meine Hände wie selbstverständlich bewegen. Konnte reden, ohne zu wissen, wie ich genau sprechen gelernt hatte.
Ich atmete, ohne etwas dafür tun zu müssen. Mein Blut rauschte durch meine Adern, ohne, dass ich es kontrollieren konnte.
Es war überwältigend. Erdrückend. Ich stand vor dem Spiegel und fragte mich nur eine Frage. Sie war so einfach und doch so schwer zu beantworten: „Wer bin ich?“
Ja, wer war ich? Wer war ich, dass ich das alles konnte? Wer war ich, dass ich lebte? Wer war ich, dass ich ich sein konnte?
Ich wusste meinen Namen. Wusste, wie ich aussah. Wusste, was richtig und was falsch war. Aber woher konnte ich das? War es möglich, dass ich nur die Fantasie eines Träumers war? Dass ich gar nicht wirklich existierte? Dass die ganze Menschheit nicht existierte?
Stellte sich jemand anderes vielleicht auch gerade diese Frage?
Ich war einer unter Millionen von Menschen. Und sie alle sahen die Welt nur aus ihrer Sicht. Aus ihrer Perspektive. Waren wir alle nur Puppen in einem riesigen Theater? Lachten sich vielleicht gerade die, die die Fäden zogen ins Fäustchen, weil ich das Spiel zu verstehen glaubte?
Ich setzte mich auf den Badewannenrand und ließ langsam die Luft zwischen meinen Zähnen hindurch zischen.
Wer war ich?
Wer hatte mich erschaffen?
Hatte ich wirklich einen freien Willen, oder war alles vorbestimmt?
Wie konnte ich mir meine eigene Meinung bilden?
Wie konnte ich denken?
Wurden wir vielleicht wirklich alle kontrolliert von einem Gott oder von wem auch immer, der über uns wachte und sich überlegte, was er mit jedem einzelnen tun sollte? War der Mensch wirklich frei oder war er doch nur ein Krümel in einem Universum, dass vielleicht gar nicht existierte?
Ich stand wieder auf und betrachtete mich im Spiegel. Warum stellte ich mir diese Frage? Ich kannte die Antwort darauf nicht. Genauso wenig, wie ich die Antwort auf mich selbst kannte. Ich wusste, wie alt ich war, meinen Namen. Konnte mich vom Aussehen her beschreiben. Ich kannte mich selbst schon so lange. Besser gesagt, mich und meinen Körper. Waren Seele und Körper nicht irgendwie getrennt? Wohnte ich vielleicht nur in einem Körper, der mir gar nicht gehörte, sondern den ich am Ende meines Lebens wieder abgeben musste? Und was ließ mich in diesem Körper haften?
Und trotz allen Fragen, allen Dingen, die mir durch den Kopf gingen, all das, was ich in meinem Leben schon erlebt hatte. Trotz allem wusste ich nicht, wer ich war. Und eigentlich würde ich die Antwort darauf auch erst finden, wenn ich sterben würde und letztendlich dorthin zurückkehren würde, wo ich herkam. Vielleicht in eine Zwischenwelt, vielleicht in den Himmel oder in die Hölle, aber vielleicht würde ich auch einfach in ein schwarzes Loch fallen und fallen und fallen und niemals irgendwo aufschlagen. Denn niemand wusste, was nach dem Tod geschah. Ob wir in dieser Gestalt blieben, die wir während unserer Lebenszeit annahmen. Niemand wusste es. Und ich war mir auch ziemlich sicher, dass niemand wirklich wusste, wer er war.
