Es war der fünfte Versuch, der gut genug für sie war. Vier Mal zuvor hatte ich bereits versucht, ein halbwegs schönes Bild für das Apfelmädchen zu malen. Leider war ich nicht ansatzweise so talentiert wie sie, weshalb es mir schwerfiel, mit dem Gemalten zufrieden zu sein. Das fünfte Bild gefiel mir allerdings endlich.
Ich hatte es in meine Jackentasche gesteckt und mich anschließend auf dem Weg zu ihr gemacht. Es war ironisch, wie viel Zeit ich mit ihr verbrachte, seit sie tot war, und wie wenig ich mit ihr verbracht hatte, als sie noch lebte. Es gab eine Menge Dinge, die ich bereute, aber ändern konnte ich davon sowieso nichts. Trotzdem wollte ich sie noch immer nicht akzeptieren. Deshalb hatte ich mich an etwas Künstlerisches gewagt. Irgendwie hatte es etwas Befreiendes. Ich hatte wie das Apfelmädchen dunkle Stifte verwendet und vielleicht das ein oder andere Mal etwas zu wild gemalt. Aber das war egal. Ich wollte bloß das Chaos in meinem Kopf zu Papier bringen, was mir letzten Endes auch gelungen war.
Im Stillen fragte ich das Apfelmädchen, ob ihr das Bild gefiel, während ich es zwischen den Grabstein und eine verfaulte Birne klemmte.
Ich verstehe dich, sagte ich in Gedanken. Ich verstehe, warum du diese düsteren Bilder gemalt hast. Das ging in deinem Kopf vor. Du wolltest das Chaos, das deine Gedanken verursacht haben, verstehen. Du wolltest dich bloß normal fühlen.
Auf einmal fühlte ich mich dem Apfelmädchen mehr denn je verbunden. Ihr würde das Bild gefallen, da war ich mir sicher. Schließlich stellte es einen Apfelbaum dar, von dem sie einen Apfel pflückte. Dieser ging in einen dunklen Sturm über und hüllte mich damit ein.
Vielleicht hätte ich früher mit dem Malen anfangen sollen. Vielleicht hätte ich ihr sagen sollen, wie schön sie gezeichnet hat. Vielleicht hatte sie das nicht gewusst.
Ich blickte von der Zeichnung auf und las die Inschrift des Grabes, wie ich es schon so oft getan hatte. Erst jetzt sah ich im Augenwinkel, wie jemand neben mir hockte. Erschreckt drehte ich mich zu ihm und sah, wie seine gelbe Kapuze ihm tief im Gesicht hing. Seit wann war er dort? Saß er etwa schon die ganze Zeit hier?
Verwirrt stand ich auf, um etwas Abstand zu ihm zu gewinnen. Erst jetzt bemerkte ich, dass es regnete. Ich muss wohl ziemlich vertieft in mein Gespräch mit dem Apfelmädchen gewesen sein. Außerdem spendeten die hohen Bäume viel Schutz, weshalb nur wenige Tropfen den Boden erreichten. Der Birnenjunge stand kurz nach mir ebenfalls auf und klopfte sich den Dreck von der Hose.
Und er legte eine Birne ans Grab und ging.
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Birnenjunge
Short StoryEr legte eine Birne ans Grab und ging. Das tat er jeden Tag. Jeden, bis auf den letzten. - Fortsetzung von "Apfelmädchen" -