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Wer hätte es gedacht? Wer hätte gedacht, dass meine Familie mal zusammenbrach? Ich hatte es nicht erwartet. Niemand hatte das. Es fing einfach aus dem Nichts an, man konnte nichts dagegen tun. Immer öfter stritten sich meine Eltern, weswegen sich sogar die Nachbarn Sorgen machten. Sie stritten sich über Kleinigkeiten, regten sich auf einmal über kleine Dinge des jeweils anderen auf, was ihnen davor überhaupt nicht störte. Machten sich gegenseitig Vorwürfe, drehten die Worte um, es wurden Taten vorgeworfen die niemals passiert sind. Aber das schlimmste war eher das Ende, die rumgeworfenen Gegenstände und dann noch der Streit um das Sorgerecht. So will Niemand, dass seine Eltern auseinander gingen. Ich beneidete die anderen Kindern, deren Eltern sich in Frieden getrennt haben und fühlte mit den anderen Kindern bei denen es genauso ausging und vielleicht auch noch schlimmer.

Und so fuhr ich mit dem alten Damenrad meiner Oma zu meiner neuen Schule. Meine Eltern hatten sich darauf geeinigt uns zu trennen. Mich und meine Zwillingsschwester. Ihr glaubt nicht wie sehr das weh tat, es war um einiges schlimmer als das meine Eltern nicht mehr zusammenlebten.

Ich fühlte mich leer. Mir wurde einfach so die andere Hälfte meines Herzens herausgerissen und das nur weil sich meine Eltern getrennt haben. Meine Schwester war mein Ein und Alles, wir gingen durch dick und dünn. Zwar waren wir unterschiedlicher denn je, aber so füllten wir uns umso mehr gegenseitig aus. Ich glaube, so viel habe ich die letzten paar Monate seit die Entscheidung gefallen ist nicht mehr geweint.

Es hatte mich aber auch verändert. Ich war nicht mehr das Mädchen, das wegen jedem Scheiß gelacht hat, das sehr gesprächig und offen war, das immer positiv gedacht hatte, dass das netteste Mädchen auf Erden war und das immer anständig war. Vielleicht war ich es ja noch, aber ich hatte es tief in mir eingesperrt und wirklich niemand konnte es wieder hervor rufen. Nichtmal Ich selbst.

Mit meiner Mutter bin ich zu Grandma gezogen, die uns herzlichst empfangen hat und mich seitdem mit einem Mitleidigen Blick ansah. Und genau diesen Blick wollte ich nicht haben, ich wollte kein Mitleid. Mich brachte das kein Stück weiter. Es half einfach nicht, so sehr ich es auch wollte.

Ich entdeckte die Schule und beobachtete das belebte Gebäude von fernem, welches mir gestern erst meine Grandma gezeigt hatte. Immer mehr kam ich näher heran und ich hatte das Bedürfnis umzudrehen und abzuhauen. Wieder zurück in die Stadt, in der ich gelebt habe, in der all meine Freunde sind, in der ich mich zu Hause fühlte. Ich war so fremd, alles war fremd und am liebsten würde ich mich verkriechen. Einfach weil ich mit der neuen Umgebung nicht klar kam. Ich stellte mein Fahrrad zu den anderen, sperrte es ab und nahm meinem Rucksack, der im Korb am mir viel zu kitschigen Fahrrad lag. Vor einem Monat hätte mir das Fahrrad bestimmt gefallen, aber ich hasste irgendwie alles was ich vorher gemocht hatte. Es erinnerte mich einfach zu sehr an meiner vorherigen Lebenssituation.

Ich atmete tief ein und aus, drehte mich um und blickte dem Gebäude entgegen. Einzelne schauten mich an, sahen in mir wahrscheinlich etwas Neues beziehungsweise Fremdes. Meine Oma wohnte in einem abgelegen Dorf in Wisconsin ca. 4 Stunden von Chicago entfernt. Chicago... Ich seufzte auf.

Da ich wegen der Anmeldung schon wusste wo das Sekretariat war, brauchte ich nicht allzu lange und holte mir von der einen Dame meinen Stundenplan. Mir wurde mein Spind genannt und bekam zum Schluss noch die Hausregeln dazu.

"Schön dich hier zu haben und ich wünsche dir viel Glück und Spaß am ersten Schultag an unserer Schule.", sagte sie freundlich. Ich nickte nur, lief raus und warf die Hausregeln am nächsten Mülleimer weg. Juckt mich nicht.

Ich schaute auf meinen Stundenplan. Der erste Kurs den ich hatte war Poesie. Ob ich mich darauf freute? Nicht wirklich. All die Kurse die auf diesem Zettel standen, stammten von meinem früheren Ich. Wer hätte gedacht, das ich mich innerhalb eines Monats verändern würde? Ich hatte angefangen mich zu verändern als der Streit anfing, was meiner Mutter und Oma nicht besonders gefiel. Ich lachte nicht mehr, hatte nichtmal ein kleines lächeln übrig. Und das war früher einfach meine Eigenschaft, aber was soll man machen? Mir wurde das wichtigste im Leben einfach weggenommen. Ich sah keinen Grund mehr glücklich zu sein. Ich habe kurz gesagt die Freude am Leben verloren. Mein Vater und Nura, meine Zwillingsschwester, zogen nach Philadelphia. Das ist einfach zu weit weg. Ich versteheeinfach nicht warum sie uns das antaten. Wenn wir wenigsten näher aneinander wohnten.

JarvisWhere stories live. Discover now