Veränderung (24. Januar)

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Gabriel lacht, als er von unten durch die Wasseroberfläche bricht. Glücklich betrachte ich sein Gesicht, in dem Wissen, dass ich ihn dazu gebracht habe.

Nach dem Abendessen bei Donald wollte er wissen, wovon der geredet hatte, worüber ich hätte nachdenken sollen. Und natürlich habe ich es ihm gesagt. Dass er verständnisvoll reagiert hat, hat mich nicht gewundert. „Was denkst du darüber?", hat er gefragt, ohne einen eigenen Kommentar abzugeben. Unsicher musste ich mit den Schultern zucken. Darüber nachgedacht hatte ich viel, war nur nicht zu einem Schluss gekommen. „Ich denke, dass es mir nicht gut geht damit, wie ich mich vor Allen zurückziehe. Aber ich habe auch Angst, dass sie mich dann verändern will."

Gabriel hat gelächelt und meine Wange gestreichelt. „Wie soll sie dich denn ändern?", hat er erwidert. „Du veränderst nicht einfach so, wer du bist, höchstens, wie du dich verhältst. Und auch da kann sie höchstens einen Anstoß geben." So hatte ich das noch gar nicht gesehen, dass die Entscheidung, eine Veränderung zu vollziehen, nur mir obliegen würde, auch wenn ich mich für den Anruf bei der Therapeutin entscheiden sollte.

Die Tage darauf habe ich kein einziges Mal mehr ihre Nummer gewählt, die ich schon lange auswendig wusste. Alleine das Wissen, dass für mein Ich-Sein immer nur ich selbst den Unterschied machen könnte, hat mich ungemein beruhigt.

Spontan habe ich Gabriel gebeten, mit mir zu kochen. Es gab gefüllte Paprika mit Reis und Cashewkernen. Und weil er gerne etwas ausprobieren wollte, haben wir in eine Rosinen gefüllt. Die Entspannung, die das Kochen mir sonst über die stillschweigende Beschäftigung bringt, wurde abgelöst von seiner Neugier und seinem Lachen.

Heute ist er mit mir ins Schwimmbad gekommen. Hin und her ziehe ich meine Bahnen, zähle mit, bis ich bei sechsundzwanzig angelangt bin. Da kitzelt mich auf einmal etwas unter Wasser in den Kniekehlen und als Gabriel prustend auftaucht und mich von hinten umarmt, muss auch ich lachen.

Es sind kleine Schritte, die ich an mir selbst bemerke, und sie vollziehen sich zuerst nur in meinem Alltag mit Gabriel, während sich gegenüber meinen Kollegen und den Angestellten im Supermarkt nichts verändert. Aber es sind Schritte in eine Richtung, die mir zusagt. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob ich oder ob ich nicht die Therapeutin anrufen möchte. Ihre Karte liegt in der Schublade meines Nachtschränkchens und da liegt sie gut.

Abends grübele ich noch immer über den vergangenen Tag und manchmal fallen mir erst da die kleinen Dinge auf. Wie mutig ich es finde, dass ich die Frau mit den zwei Limetten an der Kasse vorgelassen habe, ohne Angst, was sie denkt, wenn ich sie einfach anspreche. Und wieso ich nicht der alten Dame im Bus gesagt habe, dass ich aussteigen muss, als sie die Tür versperrt hat, und stattdessen eine Haltestelle weiter mitgefahren bin.

Und einmal kommt mir auch mein anfängliches Verhalten Gabriel gegenüber in den Kopf. Obwohl niemand mich unter meiner Bettdecke sehen kann, spüre ich die Röte in meinem Hals emporsteigen bis in mein Gesicht, bei dem Gedanken an meine Äußerungen beim Sex. Das sind Momente, stelle ich fest, in denen ich meine Zunge nicht unter Kontrolle habe, in denen nicht einmal die Scham etwas dagegen tun kann, dass ich ihm sage, was ich möchte und was mir gefällt. Die Scham nicht, fällt mir auf, aber mein hartnäckiges Unterbewusstsein.

Und plötzlich sind da wieder die Zweifel: Ich weiß, dass ich selbst damit angefangen habe, doch mir wird auch immer klarer, wieso. Dass ich mich sicher fühle in der unterordnenden Rolle, die ihm ganz klar seine Kontrolle anzeigt. Und nun? Kann ich einfach damit aufhören? Und wird er mich dann noch wollen? Schließlich scheint es ihm zu gefallen, wie ich ihn nenne, wie ich mich selber klein mache.

Wenn ich endlich zu mir stehen und Mut gewinnen will, muss ich damit aufhören, mich auf jeder einzelnen Ebene meines Seins so darzustellen: Ahnungslos, unschuldig, führungsbedürftig. Aber wenn ich plötzlich an Selbstbewusstsein gewinne, verliert die Sache zwischen uns dann für Gabriel nicht ihren ganzen Reiz?

Oh, Henry (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt