Zusammen

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„Als ich dich mit Donald gesehen habe..." Eine Weile hat er mich einfach gehalten. Dicht an seiner Brust, sodass sein starker, regelmäßiger Herzschlag mich beruhigt hat, sein Atem an meinem Nacken. Sobald er spricht, verkrampfe ich mich wieder. Ich will etwas sagen, ihm erklären, wie Leid es mir tut, dass ich alles tun würde, um das aus seinem Gedächtnis zu löschen – und meinem. Doch er lässt mich nicht zu Wort kommen. „Ich musste an damals denken. Wie er seine Hand in deinem Nacken hatte..." Sein Stocken zeigt mir, wie schwer es ihm fällt, alles so auszusprechen, wie es ihm durch den Kopf geht. „Ich hatte sofort das Gefühl, dass er... Dass du das eigentlich gar nicht willst."

Beschämt nestele ich hinter seinem Rücken an dem Stoff seines Shirts herum. Das ist die Stelle, an dem ich ihm sagen muss, dass er falsch lag? Dass ich doch wollte?

„Das war mein Kopf.", höre ich mich flüstern. Und weil er wissen will, was das zu bedeuten hat, löst er die Sicherheit spendende Umarmung und blickt in meine Augen, die sich mit aller Kraft bemühen, dem Blick auszuweichen. „Ich wollte nicht. Aber ich dachte, ich müsste wollen. Ich dachte, wenn er mir beweist, dass er mich begehrt, dann werde ich das Gefühl los, dass niemand mich lieben könnte."

Ungewohnt grob umfasst er mein Gesicht, sodass ich unwillkürlich nach dem Ausdruck in seinen Augen suche. Sie leuchten sorgenvoll und ehrlich. „Du bist so ein Idiot, Liebling.", haucht er. „Ich will, dass du sowas nie wieder über dich denkst, hörst du? Du bist der liebenswerteste Mensch, den ich kenne, und..." Sicher spürt er meinen sich beschleunigenden Herzschlag an seinen Handwurzeln, die knapp unter meinem Kiefer am Hals ruhen. Was will er sagen? Sagt er das, was ich hoffe?

Gabriel kneift die Augen zusammen, schüttelt den Kopf. „Du sollst nicht...", fängt er wieder an. „Ich wünschte, du würdest das irgendwann mit mir ausprobieren, und mit niemand anderem.", flüstert er. Augenblicklich muss ich schmunzeln, auch wenn es weit an dem vorbeigeht, was ich lieber hätte hören wollen. Das hier ist immerhin etwas, mit dem ich umgehen kann. „Das will ich auch, Gabriel. Schon von Anfang an. Ich dachte, du lässt mich nicht, weil du nicht willst." Eilig schüttelt er den Kopf. „Ich will ja..." Er muss nicht weitersprechen. Aber da war die Angst, formuliere ich seinen Satz in Gedanken zu Ende.

Langsam, mit dem Wissen, das in meinem Bewusstsein leuchtendere Farben annimmt, dass Gabriel mich nicht zurückweisen wollte, werde ich selbstsicherer. Er wollte mir bloß nicht wehtun. Weil ihm viel an mir liegt.

„Es tut mir Leid, dass ich nicht begriffen habe, wieso du nicht konntest. Du hattest Angst davor, mich körperlich zu verletzen, sodass ich durch deine Zurückweisung, die ich nicht verstanden habe, am Ende emotional verletzt war. Und was unfassbar Dummes getan habe." Gabriel lässt seine Hände von meinen Wangen rutschen, umfasst meine Finger warm mit seinen, und nickt. „Es tut mir so leid, Gabriel." Dieses Mal schüttelt er den Kopf. „Bitte nicht. Mach dir das nicht zum Vorwurf, lass es uns einfach vergessen, ja?" Meine Brauen zucken verwirrt, ich begreife einfach nicht, wie er das macht. Er muss doch abgestoßen von mir sein, von meinem Verhalten. Wütend, auf mich, auf Donald und scheinbar auch auf sich selbst. Wie schafft er es, so seelenruhig vor mir zu sitzen, mich nicht anzuschreien, von sich zu stoßen? Wie kann er das bloß alles sich selbst anlasten?

„Bitte.", flüstert er noch einmal. „Ich will einfach nur bei dir sein und dass du mir verzeihst. Ich wollte dir doch um nichts in der Welt wehtun." Ich lächle zögernd, auch wenn er viel zu beschäftigt mit dem Gummizug seiner linken Socke ist, um es zu sehen. „Und das wollte ich auch nicht. Trotzdem haben wir es irgendwie beide getan.", entgegne ich. Gabriel nickt traurig, drückt meine Hände erneut.

„Möchtest du noch mit mir zusammen sein?"

Gabriels Worte werfen mich aus der Bahn, mein Kopf schwirrt von dem kleinen Adverb mit Temporalbezug. Will er damit sagen, dass wir bereits zusammen waren? Ein Paar, wie ich es vor meiner Familie schon vor Monaten behauptet habe? Wie kann es sein, dass ich die ganze Zeit daran gezweifelt und doch nie nachgefragt habe? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich dann weggelaufen?

„I-ich..." Er schaut auf und begegnet meiner maßlosen Irritation. Sein hoffnungsvoller Blick wandelt sich rasch in einen traurigen, schneller als ich widersprechen kann. „Tut mir Leid, Henry, ich hab' kein Recht...", setzt er an, als ich endlich meine Sprache wiederfinde. „Ja!" Gabriels Blick ist verdutzt.

„Ich will mit dir zusammen sein. Ich wusste nur nicht... Ich will das. So richtig. Mit Allem.", erkläre ich ehrlich und schäme mich nur ein kleines Bisschen für meine Direktheit. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Was muss ich machen, damit es bleibt? „Mit Allem?", fragt er nach, weiß genau, wovon ich spreche. Ich nicke. „Es ist mir egal, dass es wehtut, Gabriel. Das, was du erlebt hast, war etwas vollkommen anderes. Aber du würdest vorsichtig sein und auf mich Acht geben. Ich könnte dir sagen, wenn es genug ist, und du würdest aufhören."

Scheinbar ist es genau das Falsche, um ihn längerfristig zum Lächeln zu bringen, denn Gabriels düstere Miene verhärtet sich. Er schüttelt den Kopf.

Oh, Henry (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt