Was wäre, wenn... (Teil 1)

912 27 6
                                    

Was wäre passiert, wenn El, beziehungsweise Jane, nicht von Dr. Brenner entführt und im Labor groß gezogen worden wäre? Dieser Frage widme ich mich hier in dieser Kurzgeschichte, die zwei Teile haben wird. Sie basiert auf dem Netflix Roman „Suspicious Minds", der die Vorgeschichte von El und ihrer Mutter Terry Ives erzählt. Ich werde nicht all zu viel von diesem Buch in meiner Geschichte verraten, aber ein paar Sachen musste ich mit einbeziehen. Falls du das Buch also noch nicht gelesen hast, sei gewarnt! :) Aber ich kann es dir nur ans Herz legen, da es wirklich sehr spannend ist und so viele Dinge enthüllt, die man vorher noch gar nicht wusste. Okay, genug gelabert!
Viel Spaß beim Lesen ;)

Jane seufzte und klappte ihr Buch zu. Die momentane Handlung darin passte ihr überhaupt nicht, genauso wenig wie die momentane Handlung in der Realität. Nur da konnte sie leider nicht einfach ein Buch zuklappen und sich dem Ganzen entziehen. Im echten Leben funktionierte das eben nicht so einfach.

Sie packte das Buch zurück in ihre Tasche und lehnte ihren Kopf an das Fenster. Draußen sah sie Gebäude vorbeiziehen, Menschen und Bäume. Das alles war ihr schon bekannt. Sie kannte die Straßen, die Läden und sogar den Spielplatz. Der Unterschied war nur, das sie dieses Mal nicht wieder nach ein paar Stunden Aufenthalt bei den Freunden ihrer Eltern heimfahren würden. Nein, dieses Mal würden sie bleiben.

Jane blickte neben sich und sah, dass ihr kleiner Bruder eingeschlafen war. Vorne im Auto saßen ihre Eltern, ihr Dad fuhr und ihre Mom las ein Buch.
Das Fenster war ein Stück weit geöffnet und der warme Sommerwind wehte in das Auto. Terry hatte ihre Hand bedächtig auf ihren dicken Babybauch gelegt und Andrew legte hin und wieder seine Hand dazu und lächelte sie an.
Beide schienen glücklich zu sein.
Im Gegensatz zu Jane.

„Du Mom?", fragte Jane und lehnte sich ein bisschen nach vorne.
„Warum ziehen wir nochmal nach Hawkins?"
Ihre Mutter lächelte, klappte ihr Buch zu und drehte sich zu ihr um.
„Das habe ich dir doch schon erklärt, Schätzchen. Tante Becky hat jetzt auch einen Mann und weißt du, wir können doch nicht ewig dort wohnen bleiben. Das ist zu viel. Wir sind jetzt eine große Familie, und außerdem ist ja schon wieder ein Baby unterwegs...
Wir brauchen ein eigenes Zuhause. Und glaub mir, wir haben überall nach einem passenden Haus gesucht aber wir haben keins gefunden! Eben nur hier in Hawkins. Wir wollten auch nicht zu weit weg von unseren Freunden und Verwandten wegziehen, deswegen..."

Jane schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja aber musste es denn ausgerechnet Hawkins sein?!"

Sie kannte die Geschichte. Die Geschichte, die sich hier abgespielt hat.

Ihre Mutter hatte es ihr erklärt, nachdem sie als Kind bei einem Wutausbruch aus Versehen ein Fenster zerbrochen hat. Mit ihren Gedanken.

Terry hatte damals bei diversen Experimenten im Labor in Hawkins teilgenommen, ohne recht zu wissen, in was sie da genau reingeraten war. Sie und ihre Freunde, Alice, Gloria und Ken, die auch alle dort mitgemacht haben, haben schnell herausgefunden, dass dort einige komische Sachen abliefen. Diese Leute hielten dort zum Beispiel auch Kinder gefangen, um an ihnen zu forschen und zu experimentieren. Eines der Kinder haben sie sogar kennengelernt, Kali. Sie hatte besondere Fähigkeiten. Es stellte sich schnell heraus, dass auch Terry, Alice und Gloria in gewisser Weise solche Kräfte besaßen.

Und dieses Projekt und vor allem der Leiter des Ganzen, Martin Brenner, hätte alles dafür getan, Terry und ihre Freunde dort zu behalten.

Kling verrückt, nicht?

Natürlich haben sie versucht, dort rauszukommen, doch das war gar nicht so einfach. Erst recht dann nicht, als Terry erfuhr, dass sie schwanger war. Brenner wollte das Kind behalten, es ihr wegnehmen, denn er war sich sicher, dass es besondere Fähigkeiten hatte.

Am Ende ist aber doch alles glimpflich ausgegangen, Terry konnte Brenner überführen und musste aber ein paar Monate untertauchen. Ihr Mann, Andrew, war während des Ganzen im Krieg in Vietnam gewesen, in den übrigens auch Brenner ihn geschickt hatte, um ihn loszuwerden.

Das Ganze klingt ziemlich verrückt, aber es war tatsächlich so.

Heute hat Jane keine besonderen Fähigkeiten mehr, auch die ihrer Mutter haben nachgelassen. Und eigentlich ist sie ganz froh darüber, keine mehr zu haben, denn die Vorstellung, mit ihrer bloßen Gedankenkraft irgendwas bewegen zu können, war doch ganz schon beängstigend.

Naja, aber es war weniger beängstigend, als die Tatsache, an diesen Ort ziehen zu müssen, an dem das alles passiert ist.

„Gib Hawkins doch eine Chance, Schätzchen. Du kennst es ja noch nicht mal richtig. Das alles ist vor so vielen Jahren passiert, und zum Glück jetzt auch vorbei. Oh sieh mal, wir sind schon da!"

Jane wollte erwidern, dass sie beinahe in dieser Stadt entführt worden wäre, als sie plötzlich ein riesengroßes, weißes Schild mit der Aufschrift „Willkommen in Hawkins!" vor ihrem angeblich neuen Zuhause entdeckte. Es wurde von all ihren Freunden hochgehalten, die hier in Hawkins lebten. Sie lächelten und winkten ihnen zu und Jane hätte sich beinahe dabei ertappt, zurückzulächeln.
‚Du wolltest diesen Ort nicht mögen, Jane!', ermahnte sie sich selbst in Gedanken.

„Sieh mal, was für eine Überraschung!", freute sich ihre Mom und stieg aus dem Auto. „Ja, was für eine Überraschung!", knurrte Jane und öffnete ebenfalls die Autotür.
Sie mochte all die Leute die hier waren, wirklich, und unter anderen Umständen hätte sie sich sogar gefreut. Aber ganz sicher nicht unter diesen. Also zwang sie sich ein Lächeln auf und ließ sich von jedem umarmen und hoffte, dass das alles bald vorbei sein würde.

Natürlich waren Ken, Gloria und Alice gekommen, und unter der Menschenmenge entdeckte Jane sogar Hop. Er war Polizist hier in Hawkins und war ein sehr guter Freund der Familie, weil er zusammen mit Andrew in Vietnam war. Jane und er verstanden sich sehr gut, Hopper war für sie wie ein zweiter Vater.

„Hop!", rief sie und rannte auf ihn zu. „Jane, meine Kleine!", rief er ebenso erfreut zurück und schloss sie in die Arme. „Gott, ist das lange her. Und so klein bist du ja gar nicht mehr!", sagte er und wuschelte ihr durch die Haare.
Jane lächelte. Sie hatte ihn wirklich vermisst. Und er war der Einzige, auf dessen Anwesenheit sie sich gefreut hatte. Denn als sie die anderen Leute wieder ansah, verzog sie das Gesicht.
Hop hatte inzwischen angefangen, sich mit ihrem Dad zu unterhalten und Jane beschloss, ein bisschen die Gegend zu erkunden. Fort von den Menschen, fort von dem ganzen Gewusel. Sie musste nachdenken, den Kopf frei kriegen, sich eventuell mit dem Gedanken anfreunden, ab jetzt hier zu wohnen.

Sie suchte ihre Mom und als sie sie gefunden hatte, zupfte Jane sie am Ärmel. „Du Mom, ich wollte ein bisschen die Gegend erkunden. Ist das okay?"
„Natürlich, sei aber nicht zu lange weg, okay? Wir wollten doch heute noch Essen gehen, unsere Freunde laden uns ein. Ein Art Willkommens-Essen, toll nicht?", strahlte ihre Mom.
Jane wollte die Augen verdrehen, lächelte ihre Mom aber dann doch an.
„Klar, echt toll. Bis dahin bin ich wieder zurück."

Jane wand sich von ihr ab und widerstand dem Drang, gleich laut loszuschreien. Ein Essen mit all ihren Freunden? Das war ja schön und gut, aber sie alle hatten eine lange Autofahrt hinter sich und außerdem hätte sie gern noch ein bisschen Zeit für sich gehabt. Wütend kickte sie einen Stein vor sich her, als sie zurück zum Auto ging, um sich ihre Jacke und ihr Buch zu holen. Vielleicht findet sie ja irgendwo in der Umgebung ein ruhiges Plätzchen, an dem sie für sich sein konnte.

Jane machte die Autotür wieder zu, zog sich ihre Jacke an und klemmte sich ihr Buch unter den Arm. Sie wusste überhaupt nicht wo sie hinsollte, deswegen folgte sie einfach dem Bürgersteig, in der Hoffnung irgendwo eine Bank oder etwas Ähnliches zu finden. Hauptsache weg von ihrer Familie und all den Menschen.

Sie war noch keine zwei Meter gelaufen, als sie plötzlich das Quietschen von Fahrradreifen, Gelächter und fremde Stimmen hörte. Jane drehte sich um und sah eine Gruppe von Jungs, die auf der Straße vor ihrem Haus standen.
„Schaut mal, da zieht jemand ein!", hörte sie einen der vier Jungs rufen.
Schnell drehte sie sich wieder nach vorne, schüttelte den Kopf und ging weiter. Sie hoffte, dass sie sie nicht bemerkt haben, doch schon nach wenigen Sekunden hörte sie die Stimmen näher kommen.

Jane beschleunigte ihren Gang und betete, dass sie einfach an ihr vorbeifahren würden. Doch ein Junge bemerkte sie. Er drehte sich zu ihr, und als er ihr in die Augen blickte, blieb Jane fast das Herz stehen.

Mileven OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt