01 - Der Neue

117 5 15
                                    

Der Kerl kommt eindeutig nicht von hier. Was ist das denn für ein Idiot? Elise ist gerade dabei, aus dem weißen Wagen auszusteigen, als in nächster Ferne eine eigenartige Musik aus einem schwarzen Audi hämmert. Der Bass veranlasst das Fahrzeug förmlich zum Vibrieren. Und wer zur Hölle fährt bei uns einen Audi RS7? Nicht 'mal die Lehrer haben sich so einen angeschafft. Ich lasse den Kofferraum offenstehen. Ausreichend, wie ich finde. Wenn man einen Wocheneinkauf besorgen muss, dann entpuppt dieser sich jedes Mal als ein Raumwunder für sich. Ein RS7. Ich habe nicht gedacht, dass jemand meinen Wagen überbieten kann. Selbst da fühle ich manchmal echt unwohl. Ich meine: Meine kleine Hummel ist auch nicht ohne.

„Noch so ein dämlicher Poser", lässt Elise den abfälligen Kommentar ertönen. Ich kann sie beinahe nicht verstehen. Warum um alles in der Welt muss man um viertel acht, morgens wohlbemerkt, so einen Krach veranstalten? Die Musik ist es nicht einmal wert, angehört zu werden. Irgendein fremdspracher moderner Rap. Die Wörter hören sich für mich an, als würde man versuchen, die Hälfte zu verschlucken. Ich vermute, dass es sich um Russisch handelt. „Sag' 'mal: Ist das etwa Tobias? Kann doch gar nicht sein, oder? Der hat doch 'n Mercedes."

Ausgerechnet gegenüber von uns muss er parken. In der Reihe, wo sich wirklich niemand hinstellt. Fast jeder, ungefähr achtzig Prozent von unseren Leuten, die im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, haben links ihre Fahrzeuge, in den von Gras überwucherten und von Matsch bedeckten Parklücken abgestellt.

„Wusste gar nicht, dass Tobi ein polnisches Kennzeichen am Auto hat." Ich ergreife meinen unscheinbaren Rucksack. Für heute schwer. Deutsch-, Mathe-, Polnisch- und Englischbuch. Kein Wunder, dass ich irgendwann einen Buckel bekommen werde. Mein Rücken stöhnt schon. Ich kann die Knochen hören, die sich längst beschweren. „Okay? Ein Pole? Seit wann? Hab' ich 'was verpasst?" Ihre sanften grünen Augen, normalerweise vor Fröhlichkeit strahlend, hat sie zusammengekniffen. „Der Typ ist mir jetzt schon blöd." Der Kofferraum wird geschlossen, nachdem Elise ihre Sachen an sich genommen hat. Im Gegensatz zu mir muss sie eine zusätzliche Tasche mitschleppen. Sport steht an. „Ein verdammter RS7? Nicht schlecht für jemanden, der noch die Schule besucht. Bestimmt von Papi genommen." Sie wirft mir einen Blick zu. „Dein GTI TCR bleibt der einzig wahre auf dem Parkplatz."

Die Musik ist aus. Das Fenster hochgefahren. Dafür, dass der fremde Neuling in einem Schwung in die Lücke gefahren ist, steht er nahezu perfekt. Er ist ausgestiegen. Ich schultere derweil die Tasche. Schiebe eine Hand in die Jackentasche. Der Morgen ist immer etwas frisch. Vor allem im September. Sicher, es soll im Laufe des Tages noch warm werden. Ich habe mir vorgenommen, den Nachmittag bei Elise zu verbringen. Selbstverständlich unter dem Vorwand, wir hätten ein relevantes Projekt für Chemie zu erstellen. Ich bin Elise dankbar: Ohne ihrer kreativen Reden hätte mein Vater mich nicht zu ihr gelassen.

„Na ja. Es geht", murmele ich etwas verlegen und streiche eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Der RS7 hat deutlich mehr Kraft unter der Haube als meine Hummel." Der Kerl ist ausgestiegen. Ich frage mich, was das Kennzeichen bedeutet. FSW 1308. Wenn man das dicke Fragezeichen in meinem Gesicht sehen könnte ... „Aber ohne Scheiß: Welcher normale Erwachsene lässt das eigene Kind mit so einem Monster fahren? Der hat doch locker über fünfhundert PS." Dunkelblonde Haare. Das Erste, was ich erkenne. Dunkler Kleidungsstil: Eine tiefblaue Jeans, an einigen Stellen mit Absicht ausgeblichen. Schwarze Sneaker von Vans. Die flachen, nicht die, die bis über die Knöchel reichen. Eine schwarze Jacke mit weiter Kapuze. Alles in allem: Nicht schlecht.

„Die haben bestimmt den Knall nicht gehört." Elise schüttelt den Kopf. „Wollen wir? Brachmann macht sonst Stress, wenn wir zu spät kommen." Sie seufzt theatralisch. „Es ist Montag. Ein verdammter Scheißtag. Da muss man keinen Stress machen." Elise wartet nicht auf mich, sondern geht los. Wie immer, wenn sie merkt, dass ich in Gedanken abgedriftet bin. Sie weiß immer, wann ich beginne, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Sonst würde sie bei mir verweilen.

Teach me love, good girlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt