„Ich könnte ungelogen den ganzen Tag oder Abend hier draußen sitzen", meint Mikołaj zufrieden und dreht das Glas in der Hand. „Einfach faulenzen und die Sonne genießen. Fast so schön wie baden." Er hat sich eine Sonnenbrille aus dem Zimmer genommen. „Klar, ich werde extremen Sonnenbrand kriegen, aber ist eben so. Ich kann's ab." Er grinst leicht. „Da beneide ich dich um deinen Teint. Der ist wenigstens dem Sommer angepasst."
Nicht nur er. Ich habe angefangen, mich vollständig zu entspannen. Ich denke über nichts Großes mehr nach; für mich zählt nun das Hier und Jetzt. Bastele mir keine Ausreden zusammen, sollte mein Vater den Verdacht hegen, ich träfe mich doch nicht mit Elise. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie er reagieren wird, sollte er erfahren, dass ich geraucht habe. Oder es zumindest probiert habe.
„Das machen die Gene aus", erwidere ich zwanglos und wende das Gesicht mehr zur Sonne. Sie steht genau oberhalb der Baumwipfel. „Beschwerden gerne an meine Mutter." Die Hände bleiben sorgsam im Schoß zusammengefaltet. „Können wir doch machen. Wir haben alle Zeit der Welt." Ich nicht unbedingt, allerdings muss man einmal über Grenzen gehen.
„Nah, lieber nicht. Die behalte ich für mich." Der Neunzehnjährige dreht den Kopf zu mir. „Kann das sein, dass du nur für zehn Minuten in der Sonne liegen musst, um 'ne richtig schöne Bräune zu kriegen?"
„Fünf Minuten reichen sogar aus." Ich lächele etwas und klemme eine Haarsträhne hinter das Ohr.
„Da kann man echt neidisch sein." Mikołaj nimmt sein Handy. „So, Jess." Ich vergrabe sehr leicht die Zähne in die untere Lippe. „Sag' an: Was ist dein Lieblingslied?"
„Du ... kannst es gerne durchlaufen lassen. Hört sich nämlich interessant an." Es ist das erste Mal, dass ich überhaupt russische oder polnische Musik höre.
„Ach, die kann ich dir auch schicken. Dann kannst du sie hören." Er schiebt die schwarze Sonnenbrille auf seinen Kopf. Betrachtet die Arme. „Morgen seh' ich wie 'n Geflüchteter aus Tschernobyl aus." Ich unterdrücke mein Gelächter. „Also?"
„Wie trocken du's einfach gesagt hast. Hat ziemlich gepasst." Ich räuspere mich amüsiert. „Meine bevorzugten Richtungen sind das komplette Gegenteil von dem, was du hörst." Mikołaj hat erwartungsvoll die Augenbrauen hochgezogen.
„Mich kann nichts mehr aus'm Konzept bringen. Es sei denn, du bevorzugst 'ne Richtung, die extremer ist als die meines Vaters. Und der ist ein leidenschaftlicher Fan von sämtlichem Metal- und Rockscheiß. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich dem komplett abgeneigt bin. Ein paar Dinger kann man sich geben."
„Schön, dass du es gewohnt bist." Ich mache daraus eine geheimnisvolle Sache. „Wenn du's dir unbedingt anhören willst: Gib prism ein. Ist erst 'mal Harmloses."
„Muss, nicht? Werd' ja quasi dazu genötigt." Mikołaj tippt das Genannte ein. „Ah, ich glaub', ich weiß, von wem genau. Fängt ja schon gut an." Er spielt es ab. „Du kannst es bestimmt auswendig?"
„So wie fast alle von denen", räume die Bestätigung ein. „Sehr zum Leidwesen meines Vaters." Mir kommen die Momente in den Sinn, als ich mit Elise unterwegs gewesen bin. „Elise ist jemand, die für alles offen ist. Wir singen's gemeinsam mit oder nach. Macht ständig Spaß, wenn du mit offenem Fenster durch die Stadt fährst und dabei laut singst. Die Blicke sind eh die besten."
„Das ist deutlich harmloser, als ich gedacht habe. Es ist erträglich." Er ist von dem Refrain sichtlich angetan. „Du hast es nicht zufälligerweise aufm Handy?" Ich nicke grinsend. „Lässt du es 'rüberwandern?"
„Aber gerne doch." Mein Vater hat mir geschrieben. Er würde gegen neunzehn Uhr nach Hause kommen. Der Zeitraum ist also sehr überschaubar. „Was hört denn dein Vater so? Hast du ein paar Beispiele?"
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Teach me love, good girl
General Fiction„Willst du mit mir Drogen nehmen?" „Bei uns werden aber keine roten Rosen vom Himmel fallen." Jess Evert hält nicht viel von Mikołaj Nowak, als sie ihn zum ersten Mal sieht. Er ist das völlige Gegenteil eines normalen Austauschschülers: Statt Rückha...