Ich konnte den Anblick von Basti nicht mehr ertragen. Er tat mir so leid. Seine Mutter war nach außen hin eine starke Frau, aber nach innen war sie weich. Ich verließ den Raum. Basti hatte es nicht bemerkt, warscheinlich war er zu sehr beschäftigt damit seine Mutter zu betrauern. Vor dem Raum stand die Polizistin. Sie wollte wohl geradezu uns rein kommen. "Gut, dass ich sie alleine antreffe. Ich möchte den Kleinen damit nicht belasten. Hier ist der Brief, den Frau Merte hinterlassen hat." Ich nehme den Plastikbeutel, in welchem der Brief lag, entgegen. Er war an einigen Stellen leicht angebrannt.
Es waren einige Zeilen in einer gut lesbaren Schrift. In dem Brief erwähnt sie einen Rick. Das könnte ihr Ex-Mann sein. Wo der sich wohl aufhält? Nachdem ich mir das Stück Papier angesehen habe, sah ich zu der Polizistin. "Was geschieht jetzt mit Basti?" Sie nahm den Brief wieder an sich und antwortet mir: "Er muss in ein Heim, wenn wir seinen Vater nicht ausfindig machen können." Das wäre schlecht. Ich kannte es teilweise bei Leuten zu leben, die ich gar nicht kannte. Aber für Basti wird das nicht leicht. "Könnte ich ihn nicht aufnehmen bis sein Vater gefunden wurde? Wir kennen uns schon seit einigen Monaten. Basti hört auf mich, weil ich für ihn wie ein Bruder bin."
Ich kann in ihrem Gesicht ablesen, dass sie nicht sonderlich erfreut über diesen Vorschlag ist. "Sie sind nicht mit ihm verwandt und noch sind sie nicht Volljährig. Bevor sie mir wiedersprechen: Es ist für den Moment egal, wann sie Volljährig sind. Es geht trotzdem nicht. Wenn sie so darauf bestehen auf ihn aufzupassen, sollten sie mit einem Verantwortlichen reden." Sie hatte keine Lust noch weiter mit mir zu diskutieren, was ich gut verstehen konnte. Diskussionen führen in den meisten Fällen nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Das hat sich für mich schon oft genug bewiesen. Ich nickte nur und ging an ihr vorbei. Mein Weg führte mich an die Luft nach draußen.
Brieftext: Hallo, ich habe lange darüber nachgedacht. Ich habe überlegt, ob es das Richtige ist. Für mich ist es das Richtige. Alle haben mich alleine gelassen. Basti und Rick, die einzigen Menschen, die mir jemehr bedeutet haben als ich mir selbst. Ich wurde zurückgelassen, alleine. Wer kann es mir übel nehmen, dass ich es nicht mehr aushalte. Für mich hat es keinen Sinn mehr. Vergebt mir. Amelie Merte
Die Luft tat gut. Die ganze Zeit, die ich in dem Krankenhaus verbracht habe, hatte ich fast vergessen wie gut frische Luft ist. Es fühlte sich so an, als ob all meine momentanen Probleme davon getragen werden. Die Sache mit Basti war für einen Moment nur noch halb so schlimm. Und die Zeit schien still zu stehen. Ich streckte mich. Meine Knochen knackten und ich fühlte mich gleich entspannter. Dann hörte ich hinter mir ein Geräusch. Als ich mich umdrehte, sah ich, einen Arzt das Krankenhaus verlassen. Warscheinlich ging er eine Zigarette rauchen oder fuhr nach Hause. Zu dieser Uhrzeit war nicht mehr viel los. Ich suchte nach einer Uhr und fand eine große direkt vor mir. Sie zeigte kurz nach eins an. So lange mussten wir also warten? Schon komisch. Es fühlte sich gar nicht so an. Der Wind wurde stärker und mit dem Wind kam die Kälte. Ich war ohne Jacke raus gegangen, weshalb nun kalter Wind um meinen Körper wehte.
Mit schnellen Schritten ging ich wieder in das Innere des Gebäudes. Sofort umhüllte mich wärme. Ich ging zurück in das Zimmer von Frau Merte. Basti saß, wie vorhin auf dem Stuhl neben seiner Mutter. Er sah noch immer so traurig aus. Vorsichtig stupste ich ihn an. "Hey Basti, wir sollten zu mir gehen und ein bisschen schlafen. Wir werden dann Morgen wieder herkommen." Basti war anzusehen, dass er nicht im Geringsten dazu bereit war weg zu gehen. Er wollte bestimmt seine Mutter nicht alleine lassen. Das konnte ich verstehen, aber Basti brauchte zum Überleben nun mal Schlaf und Essen.
Mir fiel ein, dass wir lange nichts mehr gegessen haben. Ich tippte Basti nochmal an. "Wir können uns auch vorher etwas zu essen bestellen. Du hast doch sicher Hunger." Die Reaktion von Basti war ernüchternd. Er zuckte nur mit den Armen. Ich fasste Basti unterdie Arme und zehrte ihn aus dem Raum. Er wehrte sich vehement, aber letztendlich hatte ich es dann doch geschafft. Auf dem Flur ließ ich Basti dann wieder runter. "Warum? Warum darf ich nicht bei Mama bleiben. Sie liebt mich und ich bin schuld, dass das passiert ist." Basti war den Tränen nahe. Aber ich sah, dass er es schaffte sie zurück zu halten. Ich nahm Basti an der Hand und ging mit ihm in die Eingangshalle. Ein Taxi war schnell gerufen und in weniger als fünf Minuten waren wir bei mir zu Hause.
Ich bestellte bei einem Lieferdienst, der um diese Uhrzeit noch lieferte und setzte mich dann zu Basti aufs Sofa. Er schaltete wieder einmal durch die Kanäle und fand nichts, was für ihn interessant wäre. Ich konnte das nicht mehr mit ansehen, weshalb ich aufstand und die Schranktür unter meinem Fernseher öffnete. Zu sehen waren viele DVDs von unterschiedlichen Filmen und Serien. Basti schaute begeistert und sprang regelrecht auf den Schrank zu. Er besah sich einige der DVDs bis er einen Film fand der ihm gefiel. Ich nahm die Hülle in meine Hand und legte den Film ein. Die kleinen gelben Figuren waren schon niedlich. Gerade als es richtig spannend wurde, klingelte es an der Wohnungstür und ich öffnete. Der Bringdienst war freundlich selbst zu dieser Uhrzeit. Ich gab ihm noch ein bisschen Trinkgeld und er verabschiedete sich. Mit zwei Kartons auf dem Arm kam ich zurück in das Wohnzimmer.
Basti hatte der weil schon weiter geschaut. Wir aßen und Basti machte sich dann auf den Weg in mein Schlafzimmer. "Warum hast du eigentlich letzte Nacht auf dem Sofa geschlafen? Ich habe dir doch extra Platz gemacht." Basti schaute mich abwartend an. "Ich dachte es wäre keine so gute Idee mit dir zusammen in einem Bett zu schlafen. Also ich würde nicht freiwillig mit jemandemwie mir in einem Bett schlafen." Ich wusste gar nicht wieso ich überhaupt eine Ausrede brauchte. Die Wahrheit war doch viel simpler. 'Ich kann nicht mit dir in einem Bett schlafen, weil sich das nichtgehört. Man macht sowas einfach nicht.' So ungefähr hätte ich das sagen können, aber ich habe es nicht gemacht. "Warum? Schnarchst du?" Ich schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, aber es wäre nicht gut. Ich schlafe auf dem Sofa und du in meinem Bett, das ist schon ok so." Basti nickte nur und verschwand im Badezimmer.
Ich räumte den Müll weg und machte meinen Schlafplatz fertig. Dann ging ich ins Badezimmer. Vorher vergewisserte ich mich, dass Basti schon in meinem Bett lag. Als ich die Tür öffnete, stand Basti allerdings vor dem Bett und wollte sich wohl gerade wieder hinlegen. Er drehte sich zu mir um und kam auf mich zu. "Du Robin, was passiert jetzt mit mir? So lange meine Mama im Koma liegt, kann ich da bei dir bleiben? Ich möchte nicht in ein Heim und ich möchte nicht zu meinem Vater." Er wollte nicht zu seinem Vater? "Du kannst nicht bei mir bleiben, weil ich nicht Volljährig bin. Aber ich werde so bald es geht mit jemandem reden, damit du erst mal bei mir leben kannst. Eine Sache verstehe ich nicht. Warum möchtest du nicht zu deinem Vater?"
Basti senkte den Kopf. Ich war darauf gespannt was er sagen wird. "Ich kenne ihn nicht. Es wäre dann für mich so, als wäre ich in einem Heim oder so. Ich habe ihn nie gesehen, weil er abgehauen ist als ich noch zu jung war um in zu erkennen. Ich will nur bei dir bleiben." Nachdem er fertig gesprochen hat, ging er noch einen Schritt auf mich zu und umarmte mich. Ich legte meine Arme um seinen kleinen Körper und hilt Basti fest. Nach wenigen Minuten ließ ich ihn wieder los. "Ich werde dafür sorgen, dass du erstmal bei mir bleiben darfst, aber wir werden auch zu deinem Vater gehen, wenn er noch lebt. Hast du das verstanden?" Ich redete leise. Er nickte nur und ging ins Bett. Als ich die Tür schloss hörte ich noch ein leises 'Gute Nacht'. Ich machte mich selbst auch schlaffertig und legte mich auf das Sofa.
Ich hatte gesagt: wenn er noch lebt. Was ist, wenn er nicht mehr lebt? Kann ich das Sorgerecht für Basti bekommen? Ich hoffte es, denn ich möchte nicht, dass er in einer völlig neuen Umgebung leben muss. Langsam driftete ich in das Land, der Träume ab.
*Wasser überall. Ich kann mich nicht darüber halten. Immer wieder schlucke ich. Ich will nicht ertrinken. Was wird aus Basti, wenn ich sterbe? Ich kämpfe mich immer wieder an die Oberfläche, um Luft zu schnappen, aber die Wellen sind zu stark. Meine letzte kraft ist aufgebraucht. Ich merke wie ich untergehe. Über mir das schöne blaue Wasser und unter mir die dunkle Schwärze des Abgrunds.*
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Triff mich am Meer
Teen FictionRobin, ein 17 Jahre alter Jugendlicher, geht seinen Weg. Und um genug Geld zu haben arbeitet er zeitweise als Aufpasser für Frau Mertes Sohn. Durch das aufeinander treffen von ihren Leben wird so einiges ins Rollen gebracht. Wo ist Bastis Vater und...