Überzeugung

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"Bad Religion, sagtest du?"
Eine Augenbraue, genauer gesagt jene, bei der eine kleine Lücke einrasiert ist, hat sie etwas hochgezogen. Somit formt sie auch den skeptischen Gesichtausdruck, den ich schon öfters beobachten konnte, als ich ihr mal wieder eine Band zeigte, die ich mag. 
,,...Jaa?", meine ich daraufhin fragend langgezogen und sehe sie mit dem gleichen Blick an, den sie auch gerade aufgesetzt hat, ehe ich meine Antwort fortsetze:,,Klingt ja fast so, als hättest du die vorher nich' gekannt."
Einen Moment lang liegen ihre Augen noch auf mir, ehe sie diese zurück auf den uralten, Walkman richtet, den sie,  wie sie sagt, schon jahrelang mit sich rumschleppt. 
,,Nah,... sorry, aber da hör' ich doch lieber weiter Hardrock."

Alles was ich daraufhin tun kann, ist mit den Augen zu rollen... War ja klar. Das Mädel wird wohl schon aus Prinzip nie ihre Meinung über Punk ändern. Und ich war so überrascht, als ich in meinem Ramsch zuhause in der hinterletzten Ecke noch diese alte Bad-Religion-Kassette gefunden habe.

Als wäre das nicht genug, belächelt sie meine Reaktion natürlich auch noch, wobei auch ich mich kurz darauf geschlagen gebe und das Lied abstelle.
,,Gib's endlich auf, du Freak. Ich mag so'n Zeug eben nicht. Das ist eh nur Geschrei begleitet von drei verschieden Akkorde, mehr nicht."

Ich ignoriere einfach, wie sie mich schon wieder nennt und schenke auch dieser viel zu verallgemeinernden Aussage keine Beachtung. Jedoch kann ich nicht leugnen, dass es mich verdammt nochmal ankotzt. Noch ehe ich aber meine Meinung äußern kann und mit einer Tirade anfange, bei der ich Eve an den Kopf werfe, dass dieses Schubladendenken nicht nur verabscheuungswürdig ist sondern auch gänzlich inkorrekt, stellt sie mir eine Frage, die ich ehrlich gesagt nicht erwartet habe.

,,Weißt du was ich mich echt oft frage?", eine kurze Pause zwischen ihren Worten gibt mir für einen Moment das Gefühl, dass ich ihr darauf wirklich antworten soll. Doch gleich darauf formuliert sie weiter, was sie wissen will:,,Wie bist du eigentlich von so 'nem oberkrassen
Hip-Hop-Gangster", sie überdramatisiert diese Wort mit ausschweifenden Gesten:,,zum versoffenen Punk geworden? Den Wechsel kapier ich noch nicht ganz so."

In meinem Kopf spielt sich ein Szenario der Vergangenheit ab, welches dazu führt, dass ich nicht direkt eine Antwort gebe. Stattdessen fügt Eve noch hinzu:,,Ich meine... Immerhin klingt es allgemein gesehen jetzt nicht so verlockend, zu einem Haufen von abgeranzten Leuten hinzuzugehören, die den lieben langen Tag ihr Geld für Bier, andere Drogen und aggressive Musik ausgeben."

Eins muss man diesem Mädchen lassen: sie ist direkt und wenn sie denn mal eine Meinung hat, spricht sie diese auch ungehemmt aus.
Und diese Eigenschaft mag ich tatsächlich an ihr...
Wobei ich natürlich zugeben muss, dass ihre Worte mir trotzdem auf den Sack gehen, weil sie einfach davon zeugen, wie uninformiert sie doch ist.

Augenverdrehend seufze ich, ehe ich abermals zu erklären beginne:,,Du solltest wirklich mal aufhören dich ständig auf oberflächlichen Klischees zu beschränken, nur weil du selbst dem typischen Bild eines Wannabe-Rocker-Badgirls entsprichst."
Vermutlich muss ich ihr das in Zukunft noch tausendmal an den Kopf werfen.
Jetzt ist sie diejenige, die die Augen verdreht. Es nervt sie, dass ich sie ebenfalls abwertend betitelt habe. Tja, wie du mir, so ich dir, Eveline.

,,Ja ja, schon verstanden, Klugscheißer. Doch jetzt antworte mir wenigstens mal.", fordert sie, ehe ich beginne von den damaligen Ereignissen zu berichten.

,,Nun ja, ich hab zu der Zeit zwar alles mögliche gehört, mochte aber vor allem Rock und eben Rap. Ich würd sogar sagen, ich war so wie du, Eve. Hab' mich wie du nicht für das wirklich wichtige interessiert, war oft voreingenommen und hab' vor allem das, was ich nicht kannte, automatisch verurteilt. So wie du und alle anderen eben.", necke ich sie ein wenig und sehe sie vorwurfsvoll an. Unbeeindruckt erwidert sie meinen Blick und zieht lediglich eine Augenbraue hoch.
,,Und dann bin ich mit Tristan, - du kennst ihn ja sicherlich noch, - einmal einem waschechten Punk begegnet." Die Worte waschechten Punk betone ich deutlich, ehe ich hinzufüge:,,Mit schwarz gefärbten Iro, einer Lederjacke voll Patches, Springerstiefeln und allem drum und dran. Und doch war der vielleicht gerade mal 15 Jahre alt.", führe ich meine Erzählung aus und übertreibe absichtlich mit den Details, um zu zeigen, wie wir beide das damals als unschuldige, unwissende, junge Burschen erlebt haben.
,,Oh, welch sensationell besondere Begebenheit...", kommentiert sie sarkastisch.

Unbeirrt fahre ich fort:,,Beziehungsweise ist "begegenet" das falsche Wort. Der Typ war nämlich kurz davor verprügelt zuwerden von-", will ich weitererzählen, werde allerdings unterbrochen:,,Lass mich raten: von aggressiven Rechten"

Ich grinse. ,,Korrekt!"
,,Und dann sagst du, ich würde hier die Klischees erfüllen."

,,Auf jeden Fall sehen Tris und ich, wie der damals noch dem Punk angehörende Junge allein vor vier Nazis steht. Angst hatte er noch dazu, aber das hat seine Chancen  nur noch mehr vermindert.
Tristan war der erste von uns beiden, der einen Entschluss gefasst hatte."
Wieder lege ich eine kurze Pause ein und versuche so, meine Beschreibung spannender wirken zu lassen. Das tat ich oft. Ich mochte das Geschichtenerzählen und wer gut reden kann, kommt im Leben immerhin durchaus weit voran.

Ich kann Eve ansehen, dass sie sich jetzt schon den weiteren Verlauf der Dinge denken kann. Sie kennt Tristan ohnehin länger, als mich und weiß ungefähr, wie er tickt.
,,War mir fast schon klar.", fängt sie an zu schlussfolgern:,,Er war sicherlich Feuer und Flamme und wollt' sofort helfen und sich mitprügeln."
,,Du könntest fast zu einer dieser dämlichen Quizsendungen gehen. Wieder korrekt.
Tris war ja schon immer,
- sagen wir, - sehr temperamentvoll und voller Tatendrang. Ich konnte nicht mal Widerspruch leisten, selbst wenn ich gewollt hätte.", meine ich etwas nostalgisch und sehe meinen entschlossenen besten Freund vor meinem inneren Auge.

,,Dann gab es natürlich einen glorreichen Kampf, den ihr mit vereinten Kräften für euch entscheiden konntet, denn ihr hattet die Macht der Freundschaft und der Gerechtigkeit auf euer Seite!", die Worte verlassenen spöttisch und betont hochtrabend ihre Lippen und mit großen Gesten unterstützt sie diesen Hohn noch zusätzlich.

Ich lache daraufhin nur mit bitteren Beigeschmack. Nichts im Leben läuft so. Aber auch rein gar nichts. Das wurde ich oft genug gelehrt.
,,Nein, eher das Gegenteil war der Fall. Wir waren den Säcken weiterhin unterlegen, oder besser gesagt waren wir beide ihnen ausgeliefert. Kaum lag die Aufmerksamkeit auf uns, hat sich der Schisser verpisst."
Ja, ja. Dieser kleine Schisser zählt mittlerweile auch noch zu meinen engsten Freunden. Ich zog ihn immer noch gelegentlich mit dieser Sache auf, zumal es für ihn ein ziemlich einprägsames Erlebnis gewesen sein muss. Danach hat er sich immerhin zunehmend dem Punk abgewandt, wurde ruhiger und ängstlicher. Jetzt hört er Bands wie My Chemical Romance und bleibt bei Demonstrationen oder irgendwelchen Konzerten lieber unauffällig.

Ein schellendes Lachen erfüllt mit einem Male das Lokal und Eve hält sich erschrocken und verlegen zugleich die Hand vor den Mund, als sie realisiert, dass sie diejenige war, die das Trommelfell aller hier Anwesenden malträtiert.
,,War ja klar!", meint sie noch immer belustigt, ist jedoch bemüht, die Lautstärke ihrer Stimme in Schach zu halten.
,,Ich hätt' gern zugesehen. Und ich hätt' dich ausgelacht!"

Sie fixiert mich provozierend, hofft anscheinend, dass mich ihre Worte aufregen. Ich gehe nicht darauf ein, setze stattdessen wieder das bittere Lächeln auf und rede weiter:,,Und rate mal, wer diese kleine Ratte war, die nur ihre eigene Haut retten wollte."
Sie zuckt nur stirnrunzelnd die Schultern und wartet, dass ich weiterrede.
,,Den Typen, der vor jedem Angst hat, vor dem sich aber auch alle anderen gruseln und sich gleichzeitig trotzdem über ihn lustig machen, weil er aussieht, wie der lebendig geworden Tod."

Verdutzt blickt sie auf und so spöttisch, wie sie vorhin noch war, so verblüfft ist nun wiederum.
Ich begrüße es, dass sie mittlerweile diese Fickt-euch-alle-Attitüde abgelegt hat. Der Abend letztens, an den ich mich tatsächlich diesmal noch erinnern kann, hat scheinbar etwas bewirkt.

Ihre Hand wandert wie automatisch ungläubig vor ihren Mund, um ihrer Verwunderung Ausdruck zu verleihen.
,,Neeeiiin... Nicht dein Ernst.", gluckst sie, als sie scheinbar versteht, wen ich meine:,,Doch nicht etwa Munin!"

Gelassen lächle ich nickend und sehe, wie sie im Gegensatz dazu fassungslos den Kopf schüttelt.
Dann sieht sie plötzlich entschlossen zu mir und spricht:,,Der macht seinem Ruf aber alle Ehre! Ich meine, alles an dem ähnelt 'nem verfluchten Raben. Das ist scheiße gruselig!"

Ich stimme dem nur wortlos zu. Sie hat's auf den Punkt gebracht. Munin war wirklich verschissen gruselig und hätte die verdammte Rolle des Antagonisten im nächstbesten Trashhorrorfilm mehr als nur verdient. Aber kannte man diesen Jungen einmal näher, hätte man nicht mal bei der damaligen Schlägerei dabei sein müssen, um zu wissen, was für'n Lappen der sein kann.

Dieser Billie Joe Amstrong Verschnitt kommt ja schon an seine Grenzen, wenn irgendein Arsch ihn wegen der massenhaften Benutzung schwarzen Kajals als Schwuchtel betitelte.
Doch dafür hat er ja uns. Wir kämpfen für ihn mit, weil wir wissen, dass er es nicht kann.

IrrlichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt