Das Licht wird immer greller und blendet mich, je länger ich in meiner Starre gefangen bin. Keine Ahnung, ob ich angehalten habe oder auf meinem Fahrrad weiterrolle. Keine Ahnung, ob ich träume, aber ich wünsche es mir inständig. Die Lichtkegel kann ich zwei Scheinwerfern zuordnen und diese befinden sich an einem Auto, welches geradewegs auf mich zuhält. „Mary!", es ist ein Schrei, der von irgendwo ganz weit weg an mein Ohr dringt und ich hebe langsam meinen Arm vor das Gesicht, während ich meinen Kopf zur Seite drehe. Bitte, lass es schnell vorbeigehen. Mechanisch schließe ich die Augen und bin bereit, für das, was kommen mag. Die Sekunden verstreichen, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Plötzlich packen mich zwei Hände an der Hüfte, pressen mich an einen Oberkörper und reißen mich von meinem Fahrrad. Als ich unsanft auf dem Boden aufkomme, wird schlagartig jegliche Luft aus meinen Lungen gepresst und ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Auf einmal geht alles ganz schnell: Ein Auto rast an uns vorbei, ich liege unter David begraben auf einer Wiese am Straßenrand und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Meine Augen sind immer noch geschlossen, aber ich habe die Reifen quietschen und David schwer über mir atmen gehört. „Alles ist gut, Mary. Dir geht es gut.", flüstert David an meinem Ohr und ich schluchze. Irgendwann scheine ich angefangen haben zu weinen. Meine Hand wandert zu meiner Wange, die vollständig von meinen Tränen benetzt ist. Mein Atem ist hektisch und unregelmäßig, als David sich von mir zurückzieht und sich aufrappelt. Ich tue es ihm gleich, jedoch bleibe ich im Gras sitzen und ziehe die Knie an meine Brust. Mir ist kalt, so unglaublich kalt und ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich starre in die Dunkelheit, in der Hoffnung dem Licht, dass mich verschluckt hat, entkommen zu können. Jedoch erscheinen immer noch die beiden Lichtkegel vor meinem inneren Auge. „Nur noch bis zum Ende der Straße und dann abbiegen, hast du gesagt oder?" Ich habe keine Ahnung von wo die Stimme kommt, noch weniger, was genau sie sagt, dennoch nicke ich mechanisch wie ein Roboter. Was soll ich auch anderes tun? In dem Moment als es wichtiger als jemals zuvor war, war ich nicht in der Lage zu handeln. Ein Beben geht durch meinen Körper und ich traue mich nicht, meine Augen zu öffnen. Auf einmal wird ein Arm um meinen Rücken geschlungen und ein zweiter unter meine Kniekehlen geschoben. Ehe ich mich versehe hebt David mich hoch und mein Oberkörper lehnt sich automatisch gegen seine Brust. Zumindest hoffe ich, dass es David ist, der mich die Straße herunterträgt und nicht irgendeine andere Person, die mir noch fremder ist als er. Ein herber Geruch steigt mir in die Nase und ich bin sicher, dass es David ist, was Ruhe in mir einkehren lässt. Ich spüre seinen Atem an meinem Haareinsatz und seine Muskeln, die sich unter seinem Shirt abzeichnen. Die Müdigkeit greift nach meinem Bewusstsein und Erschöpfung lässt meine Muskeln erschlaffen. Die Verlockung den Bedürfnissen meines Körpers nachzugehen und einzuschlafen, ist groß, doch die Angst darüber, nicht mitzubekommen was passiert und womöglich nie wieder aufzuwachen, ist größer.
Als wir vor meiner Haustür stehen, lässt David mich runter und stellt sicher, dass meine Beine nicht unter mir nachgeben. „Ist jemand zuhause?", fragt er mich und ich zucke mit den Schultern. Ich habe keine Ahnung, denn mein Kopf ist wie leergefegt. Alles, was ich mal wusste oder glaubte zu wissen, hat keine Bedeutung mehr. „Wo hast du deinen Hausschlüssel?", ohne eine Antwort abzuwarten greift er nach meiner Tasche und sucht den Schlüsselbund, mit dem ich vorhin mein Fahrradschloss geöffnet habe – etwas, das sich anfühlt als wäre es Jahre her. Erneut lösen sich Tränen aus meinen Augenwinkeln und ich lehne mich gegen die Hauswand, die ich kurz darauf kraftlos herunterrutsche. „So ich habe den Schlüssel gefunden. Komm' Mary, ich bringe dich ins Bett.", als Reaktion auf mein Nicken nimmt er mich wieder auf den Arm und trägt mich ins erste Obergeschoss, wo er erst beim dritten Versuch ein Zimmer findet, was er mir zuzuordnen scheint. Als er mich auf der weichen Matratze niederlässt, fällt eine Last von meinen Schultern, von der ich nicht wusste, dass sie da war. In diesem Bett fühle ich mich sicher, hier ist mir noch nie etwas passiert. Ich kuschle mich in die Kissen und ziehe die Bettdecke bis unters Kinn. David wendet sich leise zum Gehen, doch der Boden knarzt unter seinen Schritten. „Bitte...", flüstere ich in die Stille, „Bitte geh nicht." Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihn zum Bleiben zu bitten, aber ich will jetzt unter keinen Umständen alleine sein. Wo auch immer Mum ist, sie kann mir jetzt nicht beistehen. Seufzend kommt David zum Bett und legt sich neben mich. Er liegt auf dem Rücken, hat einen Arm unter seinen Kopf gebettet und starrt an die Decke. Ich lausche dem Geräusch seines regelmäßigen Atems und versuche meinen daran anzupassen. Langsam aber sicher beruhigen sich meine Nerven und die Geschwindigkeit meiner Gedanken in meinem Kopf wird entschleunigt. Vorsichtig rutsche ich an David heran und lege meinen Kopf auf seine Brust. Er wirkt überrascht, zieht mich aber kurz darauf mit seinem freien Arm näher an sich heran und malt mit seinen Fingern kleine Kreise auf meine Schulter. „Danke", hauche ich und schließe meine Augen. „Nicht dafür, Mary", erwidert David und mein Bewusstsein sinkt nach und nach in den wohltuenden Schlaf.
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Anima - Blick in meine Seele
Novela Juvenil"Ich wollte immer anders sein und mich von den anderen abheben. Wirklich..., so häufig lag ich in meinem Bett und hatte mir gewünscht, etwas Besonderes zu sein. Aber in diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr, als wieder ein gewöhnliches Mädchen m...