Kapitel 1

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Die Bahn war zu spät, wie immer, wie sollte es auch jemals anders sein? Shia seufzte nervös, um sie herum hatten sich vielerlei Menschen versammelt, die alle übermüdet vom Tag die Anzeige anstierten, sie ihrerseits sah stets auf ihre Uhr, es war wie ein Zwang, sie konnte es nicht lassen. Das Alleinsein, die Entblößung in der Öffentlichkeit machten sie nur allzu nervös und sie sehnte sich nach der Stille ihres Zimmers, diesen Ruheort, in welchem sie sicher war vor Alldem. Nervös trippelte sie von einen Fuß auf den anderen und hoffte damit, die beißende Winterkälte loszuwerden.

»Hey«, sprach da eine leise Stimme neben ihr, hörte sich beinahe schüchtern an. Sie ignorierte sie, so, wie sie all die Stimmen ignorierte, welche ihr jeden Tag die unglaublichsten Dinge in die Gedanken einpflanzten mit ihren gehässigen Ideen und Unwahrheiten.

»Heyyyy«, wiederholte die Stimme ungeduldig und diesmal wurde sie an der Schulter angestubst. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, drehte sich erschrocken um und steckte einen Kopfhörer aus ihrem Ohr, die wummernden Bässe der Musik ließen ein wenig nach.

»Was ist?«, fragte sie verdutzt, ihr Herz begann sich zu überschlagen, denn da war sie wieder, diese verfluchte Panik vor Unbekannten. Viel zu blaue Augen lächelten sie beruhigend an. »Ich wollte dir nur sagen, dass du aufpassen musst, weil dein Geldportemonnaie gleich aus deiner Jackentasche fällt.«

»Oh«, machte sie verdattert und ließ eilig ihre Tasche von den Schulten gleiten. »Danke«, meinte sie höflich, nachdem sie das Portemonnaie sorgfältig in ihrer Tasche verstaut und diese gut zugezurrt hatte und drehte sich wieder zu dem Jungen.

»Kein Ding«, meinte er und beobachtete sie genau. »Bist du öfters so schusselig?« Shia lächelte nervös und kratzte sich am Hinterkopf, zwirbelte dann eine ihrer Haarsträhnen um ihre Finger. Sie fühlte sich kurz angegriffen, ein kleiner Stich im Herzen. Wie sehr sie doch Kritik hasste.

»Uh... Schon irgendwie...« Der Junge musterte sie, allzu intensiv und andauernd, denn es wurde ihr bald unwohl dabei in seine hellen Augen zu sehen, weshalb sie etwas zurücktrat, näher an diese Menschenmasse heran, welche sie normalerweise doch so krampfhaft mied.

»Ich wollte es nur anmerken, weil deine Haare so ... strubbelig aussehen. Und dein Schnürsenkel ist auch offen.«

Shia errötete tief und lachte ein wenig unbeholfen. »Ahh, Gott, das ist echt peinlich.«
Er lächelte, sie war sich nicht sicher, ob er sie vielleicht auslachte, aber am Ende war es ein recht niedliches und irgendwie auch amüsiertes Lächeln. Sie fuhr sich schnell mehrmals durch die Haare, band sich flüchtig die Schnürsenkel zu, endete aber in der Eile dabei sie einfach in die Schuhe reinzustecken, denn da ertönte bereits eine metallhohle Durchsage. Ihre Bahn würde aufgrund von technischen Störungen ausfallen. Ihr Blick flog zur Anzeige, die nächste Bahn würde erst in zwei Stunden ankommen. So war das, wenn man am verfluchten Ende der Welt wohnte.

»Verdammt«, murmelte sie verärgert.

Sein Blick huschte zu ihr. »Du fährst auch mit der S41?«, fragte er und sie wunderte sich darüber, dass er immer noch vor ihr stand, er hätte doch schon längst gehen können. Jetzt war sie es, die ihn kritisch musterte, doch er zeigte nicht einen Hauch von Unsicherheit.

»Uh... Ja?«

»Ah, ich auch. Was machen wir zwei denn jetzt die zwei Stunden lang?«, fragte er mit einem gewissen Schalk in der Stimme.

»Ich«, erklärte Shia leise, »gehe in den nächsten Starbucks und schreibe da an meiner Hausarbeit weiter.« Ihre Stimme zitterte ein wenig und sie ging einen weiteren Schritt zurück, da er ihr so komisch vorkam, beinahe so, als würde irgendwas mit ihm nicht stimmen. Er wirkte wie ein Fremdkörper in der Masse. 

AsuraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt