Emma Jung

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Ziemlich lange hörte ich in meinem Zimmer Musik und ging dann nach unten zu Mama und Melli. Sie saßen beide im Strandkorb, also quetschte ich mich zwischen die beiden. Ich fragte Melli ob sie und Mattes jetzt eigentlich zusammen ziehen würden und prompt zeigte sie uns ihr neues Haus. Das war doch sehr überraschend, noch dazu lag es in unserer Straße was natürlich auch nicht schlecht war. Aber eben überraschend. Später saßen wir wieder im Strandkorb und Mama zog etwas aus ihrer Tasche. „Emma, ich habe hier etwas für dich.", verkündete sie und gab mir ein kleines Heft. Es war gelb und mit großen Buchstaben prangte das Wort MUTTERPASS auf der ersten Seite. „Was ist das?", fragte ich etwas verwirrt, doch ich sollte einfach hinein gucken und das tat ich dann auch. Mir vielen zwei kleine Bilder entgegen. Es waren Ultraschallbilder auf denen nur sehr schwer etwas zu erkennen war. Melli nahm mir eins aus der Hand drehe es um 90 Grad nach rechts und zeigte dann auf einen kleinen schwarzen Fleck. Dieser schwamm zwischen etwas weißem umher das dann aber auch wieder im schwarzen endete. „Das hier ist der Kopf", begann sie, „Und das hier werden die Arme und Beine." „Das ist ja süß, wird es denn jetzt ein Mädchen oder ein Junge?" Da Mama ja erst im 3. Monat war, wusste sie es noch nicht und ich nahm das zweite Bild in die Hand. Es war das erste Bild das Mama von Jasmin bekommen hatte und wenn ich ehrlich bin, man konnte nichts drauf erkennen. Jetzt suchte Melli in ihrer Tasche, zog ihr Portmonee heraus, öffnete es und nahm ein Bild heraus. Es war auch ihr erstes Ultraschalbild und wieder konnte ich kaum etwas erkennen, wenn auch schon mehr als bei Mamas erstem Ultraschallbild. Plötzlich rollte eine Träne über Mellis Gesicht, es folgte eine zweite und schließlich verfiel sie in ein leises Schluchzen. Ich weiß nicht mehr ob ich es schon mal erwähnt habe, aber Melli weinte nie. Nie! Es war einfach nicht ihre Art zu weinen, lieber versteckte sie ihre Gefühle vor allen anderen. Unsicher drehte ich mich zu Mama um, doch diese war schon eingeschlafen. Melli wurde in der Zwischenzeit von Weinkrämpfen regelrecht durchgeschüttelt. Ich wurde immer nervöser, so kannte ich sie einfach nicht. Was sollte ich bloß tun? Nach kurzem Überlegen drückte ich ihre Schultern leicht gegen die Lehnen des Strandkorbes, schließlich wollte ich ihr ja nicht wehtun. So ist sie gezwungen mich anzugucken. „Melli? Melli was ist los?", fragte ich sie und versuche gleichzeitig beruhigend auf sie einzureden. Doch anstatt mir zu antworten begann sie noch heftiger und lauter an zu weinen. Davon wachte auch Mama wieder auf, total erschrocken guckte sie erst Melli und dann mich an. „Was ist hier los, Emma?", fragte sie. „Ich weiß es nicht, sie hat plötzlich angefangen zu weinen und hört gar nicht mehr auf.", antwortete ich ihr.

„Mell! Melli was ist los? Melli!", schreit Mama sie an, doch sie reagierte überhaupt nicht. Mama hob ihre Hand und gab Melli eine Ohrfeige. Es war ein lauter Knall, der sich echt nicht angenehm anhörte, aber es erfüllte seinen Zweck. Melli hörte langsam auf zu weinen und nahm dankend das Taschentuch entgegen, welches ich schnell aus Mamas Tasche gekramt hatte. Langsam stand sie auf, ging ins Haus und verschwand dann im Bad. Mama und ich gingen ihr hinterher, Papa und Mattes standen in der Küche und tranken Bier. Sie hatten wohl nichts mitbekommen, denn Mattes fragte uns wo denn Melli sei. Ich schaute Mama an und diese antwortete ihm. „Sie ist mal kurz für kleine Prinzessinnen." Einige Sekunden später klingelte Mattes Handy. „Meine Mutter.", erklärte er kurz und verließ dann das Zimmer. Als er wieder kam war er ganz aufgeregt und hatte im ganzen Gesicht rote Hektikflecken. „Bei meinen Eltern wurde eingebrochen, ich muss sofort los. Kann Melli hier bleiben?" „Ja klar, aber ich komme mit!", antwortete Mama und im gleichen Moment zog sie ihre Jacke an. Papa versuchte es Mama auszureden, doch sie ließ es sich nicht davon abbringen. Beim Verlassen des Hauses flüsterte Sie mir noch etwas ins Ohr: „Guck doch bitte nochmal nach Melli."

Ich ging also zum Bad und klopfte an die Tür. Als niemand antwortete öffnete ich langsam die Tür, ging hinein und sah mich um. Doch es war niemand mehr im Bad, also verlies ich es wieder und suchte weiter nach Melli. Schließlich fand ich sie auf der untersten Stufe der Kellertreppe und setzte mich zu ihr. Langezeit sagte sie gar nichts, doch dann fing sie an zu reden. „Ach Emma." Es klang traurig und verzweifelt, aber auch verängstigt. „Weißt du eigentlich, dass du für dein Alter schon ziemlich stark bist? So viel stärker als ich es jemals war?"

Irgendetwas in ihrer Stimme machte mir Angst. Ich war stark, dass wusste ich, aber Melli war immer stärker als ich. Sie hatte ein Selbstbewusstsein wie man es sich nur wünschen konnte. Trotzdem war sie in letzter Zeit anders. Seit Mama in Koma lag hatte sie sich mehr zurückgezogen. Auch wenn Mattes ihr gut tat, hatte sie sich glaube ich überlastet. „Melli sowas darfst du nicht sagen, du weißt, dass das nicht stimmt! Komm mit nach oben, es ist kalt hier unten.", flehte ich sie an. Dann umarmte ich sie. Ich konnte nicht anders, sie sah so verletzt und klein aus.

》Sollte es nicht andersherum sein? Sollte Melli nicht für mich da sein und nicht ich für sie? Aber das ist jetzt egal! Sie war auch lange für mich da, jetzt konnte ich mich revanchieren. 《

Ich ließ sie wieder los, zog an ihrem Arm damit sie es leichter hatte aufzustehen und schob sie dann die Treppe hoch. Ich ging mit ihr zu Papa ins Wohnzimmer und drückte sie dort sanft aufs Sofa. Er sah mich fragend an, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Er war der Physiologe, nicht ich. Wir saßen schweigend auf dem Sofa, Melli wollte nicht reden und Papa und ich wollten sie nicht eher gehen lassen als das sie uns erzählt was los war.

Ein kleines neues Leben - Notruf HafenkanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt