Wir sollten gehen.

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          „Ihr zwei, in mein Büro!" Der Inspektor wurde nicht einmal laut, aber ich war mir sicher, dass es der ganze Palast gehört haben musste.

Meine Beine entschieden für mich, dass Widerspruch und Diskussion absolut unangebracht war und folgten ihm. Eine kluge Entscheidung, denn mein Verstand hatte Mühe die Alarmglocken auszublenden und einen guten Fluchtplan zurechtzulegen.

Caridad gehorchte, noch ehe er sich aus seiner Schockstarre gelöst hatte, aber einem energischen Impuls des Inspektors folgend, seine Bewegungen wie die einer Marionette. Erst als wir einen etwas belebteren Teil Nahe eines Eingangs passierten, fing er sich wieder und lehnte sich näher an mich heran.
„Ich stell ihm ein Bein und du rennst."

Zweierlei Dinge erschreckten mich an diesem Vorschlag.
Einerseits, dass Caridad dachte, dass wir aus diesem vollbesetzten Palast fliehen könnten. Nur ein Wort des Inspektors und wir wären am Boden eines Soldatenstapels. Und Caridad konnte niemandem so ein Bein stellen, dass die Person danach sprachunfähig wäre. Tatsächlich hatte ich zuletzt eher die Befürchtung, dass sein Gift und Alkoholkonsum ihn Kraft kosteten. Erst gestern hatte er mich gebeten, ihm ein Tintenfass zu öffnen.
Aber vor allen Dingen: ‚Du willst nur nicht derjenige sein, der Constantin unter die Augen tritt und zugeben muss, dass wir Mist gebaut haben!'

Schuldbewusstsein füllte Caridads Augen und er ging wieder auf Abstand, ehe sich der Inspektor einmischte, der direkt hinter uns hermarschierte. Und Mist hatten wir gebaut. Clevem. Wir hatten Clevem verraten.

Ohne gute Erklärung, würden wir beide in den Zellen landen und zum Tode verurteilt werden. Der Gedanke fasste noch nicht so richtig Fuß in meinem Kopf. Tod. Das klang so unwahrscheinlich.
Was stand eigentlich auf Titelanmaßung einer Ley-el? Ziemlich sicher, dass das noch nie jemand gemacht hatte.

Caridad würde sterben. Das war deutlich wirklicher. Schrecklicher. Es lähmte mich beinahe.

Wir waren nicht mehr weit von dem Palastteil der Angestellten entfernt. Die Flure waren, bis auf die üblichen zwei Soldaten an den Türen leer. Und wir bogen gerade um eine Ecke, die vollkommen uneinsichtig war.

Und noch ehe mir gesunde Gegenargumente einfielen, wirbelte ich zum Inspektor herum und verpasste einen Schlag ins Gesicht, der ihn und auf magische Weise auch Caridad zwei Schritte zurücksandte. Briefe flatterten durch die Luft, aber ich ließ den Männern keine Zeit zu reagieren. Die Hände des Inspektors fuhren hoch zu seiner Nase und ich nutzte seine mangelnde Aufmerksamkeit, um sein Schwert zu ziehen und es an seine Kehle zu halten.
Wenn das mein Vater gesehen hätte!

„D-Dinah?", meldete sich Caridad hinter mir, verunsichert über den plötzlichen Planwechsel.

Vor mir nahm Inspektor Hedox sehr langsam seine Hände vom Gesicht, eine gebrochene Nase offenbarend. Blut lief über seine Lippen hinunter zum Kinn.

Ich verzog bei der Vorstellung seines Schmerzes das Gesicht.
„Das tut mir wirklich leid, ich habe das schon lange nicht mehr gemacht. Aber wenn Sie jetzt die Soldaten rufen, muss ich noch weitere alte Talente auffrischen." Die Spitze des Schwertes lag direkt unter seinem Adamsapfel.

„Dinah, das ist gar keine gute Idee", trat Caridad neben mich, hastig die Briefe vom Boden klaubend, „Ziemlich sicher, dass das auch ein Verbrechen ist, das nicht sonderlich gut beim Primus ankommen wird."

Ich konnte ihn nicht ernst nehmen, mit dieser fürchterlich hässlichen Brille auf der Nase. Mein Plan war besser als seiner, im Sinne von: Ich hatte einen und er nicht.
„Du wirst jetzt weiter gehen, als wäre nichts passiert und bei deinem Vorgesetzten Offizier einen Stadtausgang beantragen. Ich denke, ich kann den Inspektor bis morgen früh festhalten, ehe ihn jemand vermissen wird. Bis dahin musst du einen Weg auf irgendeine Insel gefunden haben."

Der Palast der Lügen - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt