Buttercreme

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"Hey, Mama."

"Liebling! Wir sehen uns doch in ein paar Stunden, was ist los?" Wie immer klingt meine Mutter besorgt am Telefon. Gerade so, als würde ich mich nur bei ihr melden, wenn etwas schreckliches passiert wäre.

"Es geht auch um später.", gestehe ich und höre sie seufzen. "Du wirst jetzt aber nicht absagen, das kannst du deiner Schwester nicht antun. Das ist so ein großer Tag für sie!"

"Mama!", ermahne ich sie, doch sie plappert einfach weiter. "Thorsten hat schon gesagt, dass du einen Freund hast und nichts mehr von der Welt um dich herum mitkriegst, aber für die Familie solltest du dir immer ein wenig Zeit offen halten."

"Mama, jetzt..." "Es ist schön, wenn man frisch verliebt ist, aber pass auf dich auf, mein Schatz, und stürz dich nicht kopflos in die Sache, okay?" Ich weiß genau, dass sie auf Markus anspielt und verdrehe die Augen. Schon nach zwei Sätzen fängt sie an, mir Beziehungsratschläge zu geben, ohne dass ich einen anderen Mann nur mit einem Wort erwähnt hätte.

"Er ist nicht mein Freund.", rufe ich in den Hörer, hoffe, dass meine erhobene Stimme sie daran erinnert, dass ich auch etwas zu dem Gespräch beitragen möchte. Immerhin habe ich sie angerufen. "Er ist nicht mein Freund.", wiederhole ich in gemäßigter Lautstärke, genieße für einen Moment ihr aufmerksames Schweigen, bevor ich es wage, weiter zu sprechen.

"Ich bringe ihn und einen anderen Freund heute mit zu Sandras Eröffnung, aber ich sehe ihn zum ersten Mal und er ist sehr schüchtern." Meine Mutter fällt mir mit einem "Oh, das ist ja aufregend!", dazwischen, und klingt um Jahrzehnte verjüngt. "Ja, ist es.", pflichte ich ihr bei, versuche ihr mit meiner Stimmlage zu vermitteln, wie ernst mir dieses Thema ist. "Er ist sehr schüchtern, aber ich habe ihn dazu überreden können, mich zu treffen. Ich kann mir vorstellen, dass das für ihn eine ziemliche Überwindung ist, und wenn er dann auch noch meine halbe Familie direkt kennenlernt, ist das etwas viel auf einmal." Ich lege eine kurze Pause ein. Ist sie gedanklich noch bei mir oder plant sie schon eine Hochzeit? "Deswegen wollte ich dich bitten, und ob du auch Thorsten das sagen könntest, dass ihr uns ein bisschen Freiraum lasst? Ich stelle euch gerne vor, aber... bitte gebt mir die Chance, ihn erstmal selbst kennenzulernen, ja?"

Ich höre meine Mutter durch die Leitung schlucken. Sie ist beleidigt. Ihre Stimme ist um eine halbe Oktave verrutscht. "Natürlich. Wir werden dich sicher nicht blamieren."

"Mamaaaa." Ich seufze. Dass sie auch immer alles falsch verstehen muss. Ich widerstehe dem Impuls, mir Thorsten geben zu lassen - er versteht mich immer und scheint der einzige zu sein, der vernünftig mit ihr reden kann, ohne, dass sie ausrastet. "Ich denke nicht, dass du mich blamieren würdest. Ich will ihn nur nicht überfordern. Wenn er sich mit allen unterhalten muss, die ich kenne, bleibt uns keine Zeit, miteinander zu reden, und er kriegt den Eindruck, dass ich ihn direkt an mich ketten will. Ja?" Sie lässt mich zappeln. "Und?", fragt sie dann mit noch immer beleidigtem Unterton, aber ich merke, dass sie bereit ist, einzuknicken. "Und ich bin stolz darauf, die tollste Mama der Welt zu haben.", erkläre ich augenverdrehend, muss jedoch schmunzeln.

"Gut.", sagt sie. "Wir lassen euch eure Ruhe. Aber Sandra wirst du sicher nicht so leicht dazu kriegen, sich rauszuhalten."


"Das ist nicht dein Ernst, deine Schwester backt Törtchen?"

Bis eben stand ich an der Straßenecke an einen Laternenpfahl gelehnt, in die Richtung schauend, aus der man kommen müsste, wenn man vom Lärchenweg aus zu Fuß unterwegs wäre. Ich fahre herum und sehe ihn vor mir stehen: Moritz.

Ich spüre, wie sich meine Stirn in Falten legt. Es ist nicht der Klang seiner Stimme, der mich überrascht, ein bisschen rau und glucksend, als hätte er sich an einem Witz verschluckt. Das ist das erste, das er zu mir sagt? Er hat den ganzen Weg bis hierher Zeit gehabt, sich etwas einfallen zu lassen, spätestens als er meinen Rücken an der Laterne gesehen hat. Er kam mir beim Schreiben so durchdacht vor. Ich muss schmunzeln, als ich an das erste denke, das ich ihm geschrieben habe, und kann es ihm nicht verübeln.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt