Post Pasta

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"Und du stehst echt nicht auf Blowjobs?"

Es ist bereits spät, wir haben eine Flasche Wein geleert und jeder zwei Bier. Ein schöner Abend. Immer wieder Moritz Nähe, seine Hände an mir. Und dann eine längere Pause, in der wir einfach nur beeinander saßen und uns unterhalten haben. Er hat mir Kinderfotos von sich und Jannik gezeigt, im Urlaub am Meer. Mein Favorit war das, auf dem sie beide von oben bis unten mit Schlick bedeckt waren. Das Haus habe er für sich allein, weil seine Eltern nach Rosies Feier zu einem dreitägigen Wellnesswochenende aufgebrochen seien. Jannik "schleppt gerade irgendwen ab".

Dann war er wieder an mir, seine Lippen an meinem Hals, sodass ich mir sicher bin, dass sie Spuren hinterlassen haben. Seine warmen Finger unter meinem Shirt, die sich ihren Weg zu meiner Brust empor bahnen, zielsicher eine Brustwarze umkreisen.

Wieder ein Gespräch, er erzählt einen dämlichen Witz und wir lachen. Mir fällt auf, dass es mir leicht fallen würde, mit Moritz befreundet zu sein. Wir kommen von einem Thema auf das nächste, teilen einige grundlegende Anschauungen über Moral und Politik, und wo wir unterschiedlicher Meinung sind, ist der Austausch humorvoll, geprägt von Sticheleien. Ein bisschen wie am Anfang in unseren Nachrichten. Aber mir fällt auch auf, wie ich jedes Mal aufatme, sobald er wieder die Finger von mir lässt.

Einmal liegt seine Hand wie zufällig in meinem Schritt, er knabbert an meinem Ohrläppchen. Und ich stelle fest, dass ich ihn die ganze Zeit über beim Schreiben falsch eingeschätzt habe. Auf die Frage "Oben oder unten", die mir erst neulich durch den Kopf ging, scheinen wir derzeit die gleiche Antwort im Kopf zu haben.

In einem Versuch, einen Ausgleich zu schaffen, erwidere ich die Berührung, löse zögerlich seinen Gürtel. Will ich das? Ehe ich eine Entscheidung treffen kann, ist meine Hand in seiner Hose, umfasst sein Glied und lässt ihn aufstöhnen. Für einen Moment kniet er vor mir, den Kopf genießend in den Nacken gelegt. Seine Hand reibt nur noch fahrig über den Stoff meiner Jeans. Doch recht bald genügt ihm das nicht mehr.

Dieses Mal unterbricht er sich nicht für eine kleine Anekdote oder ein weiteres Glas Wein, sondern drängt mich mit seinem Gewicht zurück in die Rückenlage, die mir eigentlich widerstrebt. Diese Zielsicherheit passt zu ihm, aber nicht zu dem Bild, das ich von ihm hatte. Seine Unerfahrenheit ging in meiner Vorstellung mit diesbezüglicher Unsicherheit einher, doch Moritz ist nicht im Geringsten anzumerken, dass er das hier zum ersten Mal tut. Er schiebt mein Shirt über meine Brust nach oben und küsst von meinem Schlüsselbein aus einen feuchten Pfad hinab zu meinem Hosenbund, lässt mir dabei genug Zeit, um zu grübeln.

Wieso will ich das nicht? Dass ich es nicht will, steht schon längst nicht mehr zur Debatte, nur mein Körper hat es noch nicht begriffen, der auf die lang vermisste Nähe verräterisch reagiert. Aber wieso sträubt sich mein Verstand so dagegen? Und was kann ich tun?

Ganz bewusst wende ich mein Gesicht in Richtung der Sofalehne, versenke meine Nase im nach Jannik riechenden Polster. Vielleicht wird es so gehen. Wenn ich nur die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir, wenn ich einatme, materialisiert er sich förmlich. Warme Finger knöpfen mit einer flinken Bewegung meine Hose auf, schieben den gewebten Stoff über meine Hüften nach unten. Durch das dünne Textil meiner Boxershorts macht Moritz Hand Bekanntschaft mit meiner Erektion. Dafür dass er zum ersten Mal einen anderen Mann berührt, weiß er äußert genau, was er tut, als er auch diese Barriere überwindet und mich umfasst. Das tut so unerhört gut.

Ich höre mich selbst aufstöhnen, beiße mir auf die Unterlippe. Tut er das wirklich zum ersten Mal? Wie kann ich nur? Wie kann ich hier liegen, meinen Körper das genießen lassen, während ich an einen anderen Mann denken muss, um meinen Kopf zu besänftigen? An seinen besten Freund? Auch wenn ich Moritz nicht verletzen will und das vermutlich der einzige Beweggrund ist, aus dem ich mich noch nicht gegen seine Avancen gewehrt habe, bleibt mir nichts übrig, als ihn zu stoppen. Ich kann ihm das nicht antun. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich schon jetzt, dass der Moment irgendwann kommen würde, in dem ich ihm das klarmachen muss. Besser früher als zu spät.

Und so sitzen wir einen Moment später da, sein Arm hinter mir über die Sofalehne drapiert und er wundert sich leicht amüsiert, leicht verblüfft, dass ich keine Blowjobs möge.

Dabei habe ich das so nicht gesagt, denn das wäre Blödsinn. Die feuchte Wärme ist eine vage, aber starke Erinnerung, alt, aber mit Gewissheit eines der schönsten Dinge, die ich mit Sex in Verbindung bringe. "Natürlich mag ich Blowjobs.", korrigiere ich also so ehrlich wie möglich und versuche, meine Reaktion auf seine Bemühung mit einem Teil der Wahrheit zu erklären. "Es ist nur einfach sehr lange her und... Ich habe gesagt, ich bin bereit hierzu, wenn du es bist, aber scheinbar bin ich das doch nicht." Ich weiß, dass es falsch ist, ihm weiter Hoffnungen zu machen. Um ehrlich zu sein tue ich das schon viel zu lange, aber erst nach dieser Begegnung ist es mir klar geworden. Nur will ich auch nicht mit dem Alkohol einer halben Flasche Wein im Blut eine Entscheidung darüber fällen, wie ich ihm die Wahrheit möglichst schonend verklickere.

Er nickt langsam. Ich weiß nicht, ob er es nicht nachvollziehen kann, oder nur seine mangelnde Begeisterung zu verbergen versucht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er sich fühlt: So erpicht darauf, diese Erfahrung mit dem zu machen, von dem man glaubt, er sei dafür der Richtige, und dann abgewiesen zu werden. Es tut mir leid für ihn, aber seit ich dieses Foto von ihm und Jannik gesehen habe, scheint es mir das erste Mal zu sein, dass ich mich ihm gegenüber moralisch nicht völlig fragwürdig verhalte.

"Okay, kein Problem.", verkündet er dann leichthin. "Es ist schon spät und ich kann dich nicht fahren.", er deutet auf das geleerte Weinglas neben meinem. "Aber du kannst hier schlafen, wenn du willst." Mein Blick scheint Bände zu sprechen, denn er erklärt rasch seinen Plan. "Ich schreibe Jannik, er soll auf dem Sofa pennen, falls er heute noch heimkommt. Dann kannst du in seinem Bett schlafen, ist viel gemütlicher." "Ich kann doch auf dem Sofa schlafen.", widerspreche ich. Oder nach Hause laufen, geht es mir durch den Kopf, doch recht wohl ist mir das mit der Distanz und der Uhrzeit doch nicht. Er hat das Haus für sich, also ist es kein großer Umstand, mich hier unterzubringen. Moritz winkt ab. "Er schläft wahrscheinlich eh woanders, dann hättest du morgen umsonst 'nen kaputten Rücken."

Er drängt mir das frische Bettzeug und eine noch eingepackte Zahnbürste förmlich auf, sodass ich mich schließlich dankend ergebe. Doch schon hinter der Tür zu Janniks Zimmer bereue ich meine mangelnde Willensstärke sofort. Alles hier riecht nach ihm. Viel intensiver als das Sofa.

Ich putze mir im Badezimmer quer über den Flur die Zähne, ziehe mich bis auf die Unterhose aus und krieche unter Janniks Decke. Ich kann sie morgen früh frisch beziehen, denke ich, und schiebe das bewusste Versäumnis auf meine Müdigkeit. Tatsächlich aber vergrabe ich meine Nase in seinem Kissen und sinke schnell in einen traumlosen Schlaf.

Beim Erwachen sind da einige Dinge, die nach und nach in mein Bewusstsein sickern. Ich liege in einem fremden Bett. Ich habe gut geschlafen, obwohl die erste Nacht in einem fremden Bett schon bei Urlauben immer eine Qual für mich ist. Es duftet gut. Meine Hand liegt auf etwas glattem, warmem, das sich angenehm anfühlt. Es ist wie straff gespannte, weiche Haut, an der einen Stelle eine festere Erhebung, vielleicht ein Knochen. Jemand atmet neben mir.

Verwirrt behalte ich die Augen geschlossen, will mir noch nicht anmerken lassen, dass ich wach bin. Ist Moritz gestern zu mir ins Bett gekommen? Wieso sollte er, nachdem er so verständnisvoll war? Was macht meine Hand an ihm? Der Höhe nach zu urteilen, auf der sie ruht, liegt sie womöglich leicht oberhalb eines Hüftknochens. Aber ist diese Stelle nicht normalerweise von Stoff bedeckt? Ist die Person neben mir nackt? Hatte ich doch noch Sex? Mit Mo? Aber wieso könnte ich mich nicht daran erinnern?
Ich will meine Hand wegziehen, die andere Person aber nicht mit der Bewegung wecken und darauf aufmerksam machen, sie berührt zu haben.

Ich lausche auf den auffällig raschen Rhythmus des fremden Atems: Offenbar ist die Person neben mir ebenso wach wie ich. Zögerlich blinzele ich gegen das hereinscheinende Sonnenlicht und wende meinen Blick zur Seite.

"Guten Morgen.", flüstert er heiser, betrachtet mich aus großen, leicht angstvoll schauenden Augen, als könne ich ihm erklären, was vorgefallen ist.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt