Stimmungsaufhellend

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Ich bin nicht einmal verwundert, als ich zwanzig Minuten später auf die Lichtung zuhalte, auf der ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Jannik, denke ich, dabei war es zu Beginn andersherum und ich wurde die Verknüpfung zwischen ihm und dem Namen Mo nicht los. Als hätte ich es geahnt.

Sandra ist nicht an ihr Telefon gegangen, also habe ich mir ausgemalt, was sie sagen würde. Immerhin ist sie in diesen Dingen reichlich durchschaubar.

Sie hätte mich darauf aufmerksam gemacht, dass Moritz mir von sich aus eine Erklärung anbietet, auf die ich doch gehofft habe. Sie hätte aufgezählt, dass es drei Möglichkeiten gibt, wenn ich die Erklärung nach wie vor hören will. Ich könnte ihn bitten, sie mir schriftlich zu geben, damit ich ihn nicht sehen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass er darauf eingeht, ist nach seiner Bitte um ein Treffen zu urteilen gering. Ich könnte das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, um mich besser darauf einstellen zu können, was er womöglich zu sagen hat, und wie es sein wird, ihm wieder gegenüber zu stehen, mit dem neuen Wissen, dass er Mo ist. Oder ich könnte es einfach hinter mich bringen und sehen, was passiert.

Dem erdachten Hologramm meiner Schwester habe ich ein ergebenes Nicken gewidmet und bin in meine Schuhe geschlüpft. Natürlich hat sie Recht: Ich will diese Erklärung hören.

Wie beim ersten Mal ist er schon da, als ich das Feld betrete. Die Farbzusammensetzung des Blütenteppichs hat sich verändert, es herrscht mehr weiß vor, in kleinen zu Kreisen zusammengesetzten Knospen, auch die herrkömmliche Kamille hat sich breit gemacht, die ich so gerade noch erkenne. Rosa und Gelb stechen nach wie vor heraus, jedoch in geringerer Zahl, und hier und da leuchtet mir tiefes Orange entgegen.

Jannik - Moritz - lehnt an einem Baum mit glatter Rinde, sein Blick über das Feld gerichtet. Erwartet er, dass ich ihn anspreche? Begrüße? Nett zu ihm bin? Was denkt er, wie ich in dieser Lage mit ihm umgehe? Und wie fühlt es sich richtig an?

Vorsichtig trete ich neben ihn, erkenne an der leichten Verspannung seines Körpers, dass er meine Ankunft registriert hat. Ich vernehme einen tiefen Atemzug, ehe er sich zu mir herumwendet. Seine Augen tasten kitzelnd mein Gesicht ab, meine Stirn, die leicht gequollene Haut unter meinen Augen, die feinen Stoppeln an Kinn und Wangen.

Ich wünschte, der Ausgang dieses unvorhergesehenen Spiels der beiden Männer würde mich nicht so erbärmlich vom Schlafen abhalten. Es waren doch nur ein paar Wochen, zwei, drei Monate? In der Erdbeerzeit hat es angefangen, erinnere ich mich. Und jetzt ist schon seit längerem für Wassermelonen und Sellerie Saison. Ich solle mich nicht so in die Gefühle hineinstürzen, hätte meine Mutter mich gewarnt, aber ich habe sie ja gar nicht erst gelassen. Dachte, ich wisse es besser, und dass man von einem anonymen Mann über das Internet nicht wirklich verletzt werden könne.

Auch er sieht ein wenig müde aus, rede ich mir ein. Die Farbe seiner Augen trägt einen stumpfen Schleier, die Linien seines Gesichts kommen mir verwaschen vor. Dabei hat er nicht zu klagen. Er hat gewusst, was ich an dem Tag des Süßkartoffel-Unfalls habe sagen wollen. Er hätte sein Spiel also so oder so aufgeben müssen, ob ich nun von den Regeln erfahre oder nicht.

"Möchtest du ein Stück gehen?", bietet er mir leise an, räuspert sich, als irritiere der fahle Klang seiner Stimme ihn selbst. Ich nicke, denn eigentlich ist es mir egal, wo er es mir erklärt. Nebeneinander zu gehen, in die gleiche Richtung zu schauen anstatt einander ansehen zu müssen, erleichtert jedoch das offene Sprechen und das kommt mir in meiner Neugier zu Gute.

Wir setzen uns synchron in Bewegung, als wissen wir bereits, in welche Richtung der andere sich orientiere. Ein paar Abzweigungen bringen wir hinter uns, ohne ein Wort zu sagen. Dann bleibt er plötzlich stehen, an einer Bank am Wegesrand beugt er sich herunter und hält mir im Aufrichten eine Blüte entgegen. Sie ist leuchtend gelb, mit fünf schmalen Blütenblättern, die abgerundet und leicht ausgefranst zulaufen. Aus dem Zentrum sprießen etliche hauchdünne Staubblätter.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt