Auch an den nächsten Tag war die Schule wieder bedrückend, doch wenigstens hatte ich so etwas zu tun. Ich hatte etwas, auf das ich mich konzentrieren musste und ich hatte, wenn auch widerwillig, ein Ziel vor Augen, welches ich erreichen wollte.
Als ich von der Schule nach Hause kam, hatte ich damit gerechnet, dass ich bis auf meinen Bruder alleine zu Hause war, doch überraschenderweise saß meine Mutter am Esstisch. Argwöhnisch, vor allem nach dem gestrigen Streit, legte ich meinen Rucksack ab und ging in die Küche.
Ich nahm mir etwas von den dastehenden Nudeln und kippte mir ein wenig Soße über diese. Zögerlich ließ ich mich gegenüber meiner Mutter auf den Stuhl fallen und begann, die Nudeln um meine Gabel zu rollen.
Ich spürte genau, wie meine Mutter alles, was ich tat genau beobachtete. Da ich vermutete, dass sie sauer auf mich war, schluckte ich schnell meinen Bissen runter. Ich räusperte, bevor ich mit meiner Entschuldigung ansetzte: "Ich weiß, dass du sauer bist wegen gestern und es tut mir auch leid, aber deswegen musst du dir doch nicht den Nachmittag frei nehmen oder?"
Als ich geendet hatte zog meine Mutter ihre Augenbrauen hoch und sah mich mit einem verwirrten Blick an. "Darum geht es doch gar nicht, deswegen würde ich mir auch keinen Nachmittag frei nehmen. Ich würde mich gleich mal gerne mit dir unterhalten, aber iss erst auf, bitte", antwortete sie auf meine Frage.
Nun sah ich sie mit einem verwirrten Blick an, begann aber weiter zu essen. Doch weit kam ich nicht. Schon nach wenigen Gabeln, konnte ich diese Geheimnistuerei nicht mehr ertragen und schob meinen Teller von mir. "Fertig, kannst du es mir jetzt endlich sagen?", fragte ich sie mit einem genervten Unterton, der ihr bestimmt auffiel.
"Du isst in letzter Zeit wenig, Schatz", antwortete meine Mutter jedoch nur und schob den Teller wieder zu mir. "Ich esse nur, wenn du mir dabei sagst, was los ist", drohte ich ihr nun, da ich wusste, dass ich sonst erstmal nichts aus ihr rauskriegen würde.
An den Gesichtszügen meiner Mutter konnte ich genau sehen, dass ich gewonnen hatte. Sie seufzte und begann dann langsam zu erzählen: "Ich, und dein Vater übrigens auch, sehen, dass es dir immer noch sehr schlecht geht." Als sie kurz anhielt, um die Worte sacken zu lassen, zog ich eine Augenbraue hoch, um ihr zu zeigen, dass das jetzt keine neue Erkenntnis war.
"Deinem Vater und mir tut es sehr weh zu sehen, wie du dich von allen abkapselst und mit niemandem mehr sprichst", fuhr sie unbeirrt fort, "Wir denken, dass es dir sehr gut tun würde mit jemandem darüber zu sprechen und da du das ja mit uns anscheinend nicht kannst, haben wir einen Termin bei einem Therapeuten gemacht."
Mein Mund klappte mir auf und wie gestern, stieg die Wut in mir auf. "Ich will aber mit niemandem reden", stellte ich mit wütender Stimme fest. "Genau das meinen wir. Da ist wieder dieser abweisende Blick in deinen Augen. Versuch es doch wenigstens mal", versuchte meine Mutter zu erklären und ich nahm deutlich ein Zittern in ihrer Stimme war.
Da ich nicht schon wieder einen Streit verursachen wollte und da ich wusste, dass meine Eltern mir etwas Gutes tun wollten, nickte ich mit zusammengebissenen Zähnen und presste anschließend noch eine Frage hervor: "Wann ist der Termin?" Versucht meine Wut zu unterdrücken, schaute ich zu meiner Mutter, die mich vorsichtig musterte.
"Heute, hab ich Recht? War klar, sonst wärst du nicht hier", sagte ich, da es ja offensichtlich war. "Ja, in einer Stunde", antwortete mir meine Mutter noch, während ich schon dabei war, meinen Teller in die Küche zu bringen.
Kurz bevor wir losfuhren, steckte ich mir noch mein Handy in die Hosentasche und setzte mir eine Cap auf. Schweigend setzte ich mich neben meine Mutter ins Auto und starrte die ganze Fahrt aus dem Fenster.
Als wir bei der Praxis angekommen waren, verdunkelte sich mein Blick noch mehr. In schwarzen Lettern stand "Dr. Michel, Trauerbegleitung, Kinder- und Jugendpsychologie" auf einem Schild an der Hauswand.
Wir betraten das Gebäude und wurde von einem jungen Mann an der Rezeption empfangen. "Wir haben einen Termin um 16:00 Uhr", sagte meine Mutter freundlich und sofort begann der Mann etwas in seinen Computer einzutragen. "Ja, Sie können gerne erstmal im Wartezimmer platznehmen", sagte er freundlich und deutete auf einen weiteren Raum.
Als wir den Raum betraten, sahen wir einen kleinen Raum, der stilvoll mit schlichten Stühlen ausgestattet war. Schon nach kurzer Zeit wurde ich aufgerufen und auch, obwohl ich ihr einen warnenden Blick zuwarf, stand meine Mutter mit mir auf und wir gingen in das nächste Zimmer.
Auch dieses war stilvoll eingerichtet. Es gab einen großen Ohrensessel und eine bequem aussehende Couch. Außerdem stand hier ein Schreibtisch aus dunklem Holz und eine der Wände war mit einem überfüllten Bücherregal ausgefüllt.
Direkt als ich durch die Tür kam, sprang eine mittelalte Frau von dem Schreibtisch auf und lief mir entgegen. Sie schüttelte sowohl mir, als auch meiner Mutter die Hand und forderte uns auf, uns auf das Sofa zusetzen. "Guten Tag, mein Name ist Dr. Michel und Sie müssen Frau Hauser sein. Wenn dem so ist, bist du bestimmt Mia. Herzlich Willkommen in meiner Praxis, Mia", begann sie sofort an zu sprechen.
Sie sprach nicht so abgehakt und man hörte, genau, dass sie jedes Wort bedacht aussprach. Meine Mutter nickte höflich und warf dann einen Blick zu mir herüber. Doch ich saß nur mit verschränkten Armen da, die Cap tief ins Gesicht gezogen.
"Es freut mich, dass Sie da sind jedoch muss ich Ihnen, Frau Hauser direkt die vielleicht wichtigste Regel dieser Praxis nahebringen. Auch wenn wir hier eine Praxis speziell für Kinder und Jugendliche sind, muss ich Sie bitten, Mia und mich nun alleine zu lassen.
Alles was Mia und ich hier besprechen soll ganz unter uns bleiben, damit sich die Kinder ohne Bedenken öffnen können", fuhr Dr. Michel fort und ich wusste, auch ohne es zu sehen, dass ein kurzer Blick der Enttäuschung über das Gesicht meiner Mutter gehuscht war.
Trotzdem stand sie gehorsam auf und verabschiedete sich bei Dr. Michel. "Gehen Sie doch ein Eis essen bei diesem schönen Wetter", schlug sie entschuldigend vor uns begleitete meine Mutter zur Tür. Als sie dann weg war, begann ich unruhig auf der Couch rumzurutschen, da mir das Ganze plötzlich unangenehm war.
Dr. Michel ließ sich gelassen auf den großen Ohrensessel fallen und griff nach einem Klemmbrett und einem Kugelschreiber. Sie wandte sich anschließend zu mir und sah mich mit einem Blick an, der aussah, als würde sie direkt in meine Seele gucken können.
"Also Mia, erzähl mir doch mal etwas über dich."
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The Bucket List
Teen FictionSie war wie ihr Name. Sie war eine Blume für mich. Eine Blume, die unerwartet durch den grauen Asphalt einer kaputten Straße wächst und zeigt, wie schön das Leben ist. Sie war die Blume und ich der Asphalt. -- Als Mias bester Freund starb, war Mia...