Mein Bruder und ich saßen auf der Rückbank von unserem Auto, unsere Eltern beide vorne. Ich hatte meine Kopfhörer auf und hörte Musik.
Wir fuhren jetzt schon eine Stunde in diesem viel zu kleinen Auto. Die Hitze war drückend, die Straßen verschwommen.
"Mia? Mia!", hörte ich die Stimme meines Bruders gedämpft durch meine Kopfhörer. Ich schon sie mir von dem einem Ohr und drehte mich zu ihm.
"Was ist denn?", fragte ich ihn genervt, worauf hin er nur "Nimm mal deine Kopfhörer ab", sagte. Ich nahm sie ab und hörte unser Lied.
Der Refrain fing an und Jona begann lautstark mitzusingen:
"Take me to church I'll worship like a dog at the shrine of your lies
I'll tell you my sins and you can sharpen your knife
offer me that deathless death, good God, let me give you my life"
Jona grinste mich an. Das war eins der ersten Lieder, die wir uns damals auf unsere Sommer-CDs gebrannt haben, und die unsere Eltern dann die ganze Fahrt in den Urlaub ertragen mussten.
Ich grinste zurück, doch ich wusste, dass dieses Lächeln nicht meine Augen erreichte. Wir beendeten unser Lied in zwei verschiedenen, nicht unbedingt zusammen passenden, Tönen.
Es fühlte sich gut an, doch es erinnerte mich auch an ihn. Wir haben auch oft zusammen gesungen, Musik gemacht.
Ich schaute noch einmal zu meinem Bruder, setzte dann wieder meine Kopfhörer auf und versank in meinen Gedanken.
Wir waren angekommen und nun saß ich mit meinen Eltern und meinem Bruder bei meiner Oma am Tisch. Wir aßen und unterhielten uns.
"Und wie war Frankreich?", fragte meine Oma. "Gut", antwortete mein Bruder, "aber Mama und Papa wollten sich ja jeden Tag wieder eine neue Stadt angucken!"
Er stöhnte. "Das hatten wir jetzt doch schon tausendmal!", sagte meine Mutter, "wenn du nur am Pool liegen willst, kannst du auch zuhause bleiben!"
Mein Bruder hob seine Augenbrauen und entgegnete ironisch: "Seit wann haben wir denn zuhause einen Pool? Und außerdem ist in Deutschland doch immer scheiß Wetter!"
"Das nennst du Scheiß Wetter? Es sind doch jeden Tag gefühlte 40 Grad!", warft mein Vater ein.
"Das meine ich doch gar nicht! Ach egal. Frankreich war jedenfalls schön", versuchte mein Bruder die Situation nun wieder zu beruhigen, "Wir haben echt viel gesehen, aber das Beste war eindeutig das Essen."
"Oh ja! Die Crêpes waren weltklasse! Und die Croissants jeden Morgen!", schwärmte meine Mutter, worauf hin meine Oma weiter nachfragte: "Und hat jemand von euch auch die Muscheln probiert?"
"Ja, Papa hat sich welche bestellt und dann habe ich auch eine probiert", antwortete Jona aufgeregt. "Das hört sich ja alles wunderbar an!", stellte meine Oma fest.
"Wie war es denn bei dir? Du hast doch deinen Bruder besucht, oder?", hakte mein Bruder nun auch bei meiner Oma nach. "Ja, war schön ihn mal wieder zu sehn, aber es war auch anstrengend. Ihr wisst ja wie das ist. Ich werd' ja auch nicht jünger, stimmts?", witzelte sie.
Alle wandten sich wieder ihrem Essen zu und es war für endlich mal ruhig. Aber leider zu kurz. "Mia, du hast ja noch gar nichts gesagt! Wie geht es dir?", wurde nun auch ich gefragt.
"Mmh. Gut soweit, denke ich", erwiderte ich möglichst normal. Ich sah genau, wie mein Vater ihr den du-weißt-schon-Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zuwarf und wie es langsam in ihrem Gehirn klick machte.
"Ach ja, genau, Mia! Das mit deinem Mitschüler tut mir natürlich schrecklich leid. Das ist bestimmt schwer zu ertragen", sagte meine Oma zwischen zwei Bissen.
Ich hasste dieses Gespräch. Ich wollte doch nur einmal nicht darüber nachdenken!
"Aber weißt du, als dein Opa gestorben ist, da hab ich mir gedacht, das muss ja auch alles einen Grund haben. Gott wird das schon alles richtig machen...", fuhr meine Oma fort, doch mein Vater unterbrach sie.
"Mama, jetzt lass gut sein. Er war doch noch so jung. Da gibt es wohl keinen guten Grund für", wollte er sie ruhigstellen, doch meine Oma ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Sie redete geduldig weiter: "Es wird schon einen Grund geben. Gott tut immer das Richtige." Mir bliebt mein Stück Brot im Hals stecken und ich fing augenblicklich an zu Husten.
Sofort brach ein Chaos aus. Mein Vater wies seine Mutter zurecht, meine Mutter klopfte mir hektisch auf den Rücken und mein Bruder beobachtete alles mit geschocktem Blick.
Als ich wieder richtig atmen konnte, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich war kurz davor zu explodieren, doch das war es mir nicht wert.
Bedacht, nicht loszuschreien, presste ich nur einen Satz aus mir heraus: "Er war mein bester Freund." Meine Oma schaute mich mit einem neutralen Blick an, als wüsste sie nicht, was sie falsch gemacht hatte.
Mit spitzen Fingern schob ich meinen Teller mit meinem angebissenen Brot von mir weg, da mir plötzlich kotzübel war. "Ich geh mal eben an die frische Luft", sagte ich und stand auf, bevor mich jemand abhalten konnte.
Die kühlere Abendluft, die mir ins Gesicht schlug, ließ mich wenigstens etwas fühlen. Am liebsten wollte ich in die dunkle Nacht hineinschreien. Damit alle in diesem elendigen Kaff hören konnten, was ich fühlte. Dieser Schmerz machte mich verrückt.
Ich ging ein wenig, bis ich schließlich zu dem Spielplatz kam, wo Jona und ich früher immer gespielt hatten, wenn wir hier waren. Eine Träne rann mir über das Gesicht, als ich mich auf eine der verlassenen Schaukeln setzte.
Erst langsam bewegte ich meine Beine, dann immer schneller. Die kalte Luft wehte mir durch meine langen Haare. Als ich am höchsten Punkt war, sprang ich ab, so, wie ich es als Kind immer gemacht hatte.
Doch diesmal war da dieser kleine dunkle Gedanke. Ob er sich auch so gefühlt hatte, kurz bevor er...?
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The Bucket List
Teen FictionSie war wie ihr Name. Sie war eine Blume für mich. Eine Blume, die unerwartet durch den grauen Asphalt einer kaputten Straße wächst und zeigt, wie schön das Leben ist. Sie war die Blume und ich der Asphalt. -- Als Mias bester Freund starb, war Mia...