337 Tage zuvor

37 7 23
                                    

Im Spiegel blickten mich zwei müde Augen an, während ich langsam begann, die Schere anzusetzen. Noch lagen meine langen braunen Haare in einem Zopf meinen Rücken hinunter bis zu meiner Hüfte. Ich habe sie viele Jahre wachsen lassen und Matteo hatte sie immer geliebt.

Er hatte es geliebt mit ihnen zu spielen, während er geschwächt in seinem Bett lag, er hat es geliebt, sie zu beobachten, wenn sie im Wind flatterten. Und wenn ich jetzt nur einmal meine Hand zusammendrückte war das alles weg.

Ich kniff meine Augen zusammen und übte langsam Druck aus. Es knirschte, während sich die Schere langsam durch meinen dicken Zopf arbeitete. Immer und immer wieder öffnete ich meine Hand, nur um sie wieder zu schließen und die Haare mehr zu trennen.

Plötzlich knirschte es ein letztes Mal und ich hielt einen langen Zopf in meiner Hand. Mit der anderen Hand fuhr ich mir zögerlich durch meine übrig gebliebenen Haare. Jetzt sah ich im Spiegel erneut meinen Kopf, doch nun mit chaotischen Haaren, die gerade mal bis unter meine Ohren reichten.

Damit ich nicht noch länger zögerte, griff ich schnell zum Rasierer und rasierte einen Streifen auf der Mitte meines Kopfes ab. Zügig machte ich weiter, bis ich dann nach kurzer Zeit fertig war. Den Rasierer legte ich wieder auf den Waschbeckenrand und betrachtete mich nun genau im Spiegel.

Meine Haare waren nur noch einige Millimeter lang und standen in Stoppeln von meinem Kopf ab. Mit meiner Hand fuhr ich mir über meinen Kopf und spürte meine Haare wie tausende kleine Nadeln.

Ich blickte mich im Badezimmer um. Auf dem Boden lag mein langer Zopf, festgebunden mit einem Haargummi. Im Waschbecken hatten sich die ganzen Haare gesammelt, die ich mir abrasiert hatte. Mit einem Stück Klopapier wischte ich diese zusammen und stopfte sie in den überfüllten kleinen Mülleimer.

Ich warf noch einen Blick in den Spiegel und ging dann zügig in mein Zimmer zurück. Erleichtert verband ich mein Handy mit meiner Anlage und drehte sie auf volle Lautstärke auf. Die Musik floss durch meine Adern und ich konnte überhaupt nicht mehr stillsitzen. Und dann fing ich an zu tanzen.

Ich schwebte durch den Raum und bewegte mich völlig frei. Einzelne Tränen flossen über meine Wangen, doch ich drehte mich weiter, hüpfte, bewegte mich zur Musik.

Plötzlich wurde meine Tür aufgerissen und die Musik durch einen spitzen Schrei unterbrochen. Wie erstarrt blieb ich stehen und blickte zur Tür. Wütend ging meine Mutter zu meiner Anlage und stellte sie ab.

"Kannst du mir mal sagen, was das hier werden soll?", wütete sie. Verständnislos schaute ich sie an, während sie immer näherkam. "Wieso hast du dir all deine Haare abgeschnitten?", fragte sie mich mit verzerrtem Gesicht.

Erschöpft zuckte ich nur mit meinen Schultern und fuhr mir abwesend mit meiner Hand über den Kopf. Genervt atmete meine Mutter aus. "Essen", sagte sie noch, während sie das Zimmer verlässt.

Als ich mich an den Tisch setzte schauen mich alle mich großen Augen an. "Ich finde, sie sieht aus als hätte sie Krebs", sagte meine Mutter beiläufig, aber mit einem wütenden Unterton, bis sie bemerkte, was sie gesagt hatte.

Sie schlug sich ihre Hand vor den Mund und fügte schnell ein: "Das meinte ich nicht so" hinterher. Die Stimmung an dem Tisch war zum Zerreißen gespannt und jeder war darauf bedacht keinen Mucks von sich zu geben, bis mein Bruder das Schweigen brach.

"Ich finde, es steht ihr. Sie sieht aus wie eine Kriegerin", sagte er bemüht locker und ich lächelte ihn schwach an. Auf diese Bemerkung hin, sagte niemand mehr was und alle aßen. Ich bekam nicht mehr als zwei Bissen runter, da ich immer an den Satz von vorhin denken musste.

Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht, aber ich fand es schön. Diese Frisur war lange ein Teil von ihm, jetzt war es halt ein Teil von mir. "Darf ich in mein Zimmer", fragte ich und als meine Mutter nickte, stand ich auf.

Ich ging in mein Zimmer, während ich ihren Blick auf meinem Rücken spürte. In meinem Zimmer angekommen, ließ ich mich vor den Spiegel fallen und betrachtete mich näher. Mein weißes T-Shirt setzte sich stark von meiner gebräunten Haut ab, und hier und da, konnte ich noch Haarreste auf ihm sehen.

Meine braunen Augen wirkten viel größer, jetzt, da mein Gesicht nicht mehr von Haaren umrahmt wurde. Sie wirkten müde und leer und das Leuchten von früher war verblasst. Und man konnte jetzt auch die Augenringe unter meinen Augen besser sehen, die sich deutlich abhoben.

Man sah meine eingefallenen Wangen, meine Wangenknochen, die spitz hervortraten. Ich kniff meine Augen fest zu und öffnete sie langsam wieder, so als würde es mir gelingen aus meinem Körper zu fliehen. Er hatte immer gesagt, ich sei das hübscheste Mädchen, dem er je begegnet sei, doch das Ereignis der letzten Wochen hatte seine Spuren hinterlassen.

Jona hatte gesagt, ich sah aus wie eine Kriegerin. Trocken lachte ich auf. Kriegerin? Ich sah eher so aus, als würde ich jeden Moment in mich zusammenklappen. Da ich den Anblick von meinem Gesicht nicht mehr ertragen konnte, stand ich auf und legte mich auf mein Bett.

Schon die vergangenen Wochen, war ich kaum aus meinem Zimmer rausgekommen. Was sollte ich auch machen, wenn der einzige Freund, den ich hatte, plötzlich nicht mehr da war?

Das nächste Kapitel und ich hoffe, es gefällt euch! Danke fürs Lesen und Kommentieren!

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt