Sehr geehrter Herr Messner,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Ihre Bewerbung um einen Studienplatz bei der Martian Orbital Academy im Fach "Superluminare Antriebstechnik" angenommen wurde.
Der Shuttle, der Sie und Ihre künftigen Mitschüler in den Orbit beördern wird, startet in 14 Tagen (Dat. 28. August) um 17:00 Standardzeit am Zentral-Landeplatz Bielefeld. Ihre Anwesenheit ist spätestens um 15:00 erforderlich. Um effiziente Treibstoffnutzung zu gewährleisten, dürfen Sie mitsamt Gepäck ein Maximalgewicht von 90kg nicht überschreiten.
Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an die örtliche Informationsstelle.
Hochachtungsvoll
Megan HallÜberreste dieses Briefes flatterten in Form verbrannter Fetzen durch die Luft, ein widerwärtig verbrannt riechender Gestank von Dingen, die niemals hätten verbrennen sollen, hing in der Luft, nur wenige Menschen waren überhaupt noch in der Lage, zu stöhnen. Sternschnuppen gleich sanken Landungsboote besetzt mit Soldaten zu Boden, durch die Rauchschwaden hindurch.
Ein Stückchen Asche landete auf meinem Gesicht. Die Augen starr aufwärts gerichtet, lag ich hilflos am Boden, kein Gefühl mehr in Armen und Beinen, Schmerzen in allen anderen Körperteilen. Meine Erinnerungen an die Ereignisse sind noch heute getrübt, lückenhaft.Aber dieses Rußflöckchen, das auf meinem Gesicht landete, daran erinnere ich mich noch immer.
Schritte. Jemand stolperte auf mich zu. Maya. Ich erkannte ihre Stimme. Sie rief nach mir.
Eine Sternschnuppe zog durch mein Blickfeld, mit einem dumpfen Knall wurde die Rampe herabgelassen, und unzählige Stiefelpaare zertrampelten den verwüsteten Boden.
Befehle wurden gebrüllt, ich spürte, wie mein Körper aus einer immer größer werdenden Pfütze aus Blut gezogen wurde (mein Blut?). Dann lag ich auf einer Trage. Und fiel...
Alle Geräusche verstummten, der Schmerz verschwand. Mein Bewusstsein folgte dem Schmerz.
14 Tage zuvor
"Was zur Hölle ist denn bitte ein 'Bielefeld'?", donnerte die Stimme meines Vaters durch unser Haus, Sekunden, nachdem er den Brief in die Finger bekommen hatte. Genervt schaute ich von meinem Frühstück auf.
"Nur eine der größten Städte hier in der Gegend, warum fragst du?", gab ich patzig zurück. Ich mochte meine Eltern, ehrlich, aber mein Vater mit seinem Hang zu viel zu lautem schallenden Gelächter und meine Mutter mit ihrer nervenaufreibenden Hysterie konnten ihrem Sohn – also mir – das Leben manchmal ganz schön schwer machen. Und so sehr es mich auch betrübte, bald mein Elternhaus zum letzten Mal in meinem Leben zu verlassen: Ein nicht allzu kleiner Teil von mir freute sich auch, dass es bald losgehen würde.
Was auch daran lag, dass ich an einem Ort studieren würde, der so weit von der Wiege der Menschheit entfernt lag, wie es der Menschheit möglich war. Hier auf der Erde war nicht mehr viel los. Durch die hemmungslose Antifamilienpolitik der Zentralregierung schrumpfte die Bevölkerung des Planeten seit Jahrzehnten immer weiter in sich zusammen. Der Mars hingegen schien mit seiner unabhängigen Regierung und der starken Industrie geradezu ein Paradies zu sein.
Ein Paradies mit Türen, die sich nur für die Allerwenigsten öffneten. Interplanetare Flüge waren so teuer und die Reisezeiten so lang, dass niemand es sich leisten konnte, die Erde zu verlassen. Nur als Diplomat oder hochbegabter Schüler konnte man es sich überhaupt erlauben, den nahen Erdorbit zu verlassen.
Bevor ich weiter in Gedanken schwelgen konnte, bekam ich einen Anruf. Morgens um halb Neun nicht gerade aufmunternd. Andererseits schwer zu ignorieren, wenn das Telefon direkt in den Schädel implantiert ist. Ich tippte mir seufzend an die Schläfe und sofort sandte das Implantat Informationen in meinen visuellen Kortex, die dieser als Bildsignale interpretierte und so Mayas Konterfei direkt in mein Blickfeld legte. Zeitgleich mit dem Erscheinen ihres Avatars legte sich die Stirn meines Vaters in steile Falten. Oh weh.
"Simon, du weißt, ich kann es nicht ausstehen, wenn schon so früh morgens telefoniert wird." Sein Blick war finster genug, dass ich ein wenig in mich zusammensank. "Aber es ist wichtig... Es ist Maya." "Ach, deine Freundin also?" Ich wurde knallrot. Auch das war eine Fähigkeit, die sowohl mein Vater als auch meine Mutter besaßen und die mich regelmäßig zur Weißglut trieb. "Sie ist nicht...!", setzte ich an, zuckte zusammen, als mir bewusst wurde, dass besagte 'Freundin' (nein, wir waren nicht zusammen, aber... Eltern) alles mithören konnte.
Zum Glück kam meine Mutter zur Rettung. "Liebling, mach doch heute mal eine Ausnahme! Immerhin ist ja auch ein großer Tag, oder nicht?" Mein Vater brummte irgendetwas vom 'Verfall der Sitten' und der 'Disziplinlosigkeit der Jugend' in seinen mit Resten von Spiegelei dekorierten Bart. Als hätte ich im Alleingang einen Krieg zu gewinnen... Eigentlich mochte ich ihn ja.
Nun konnte ich mich endlich Maya zuwenden, die während des Disputs bei uns ruhig zugehört hatte. Fragend blickte ich auf ihren Avatar. "Anime. Wirklich? Ist Japan nicht schon seit etwa einhundert Jahren wieder außer Mode?" "Wie freundlich", erwiderte sie kühl. "Aber hast du irgendeine Ahnung, was im Moment 'in Mode' ist?" "Ähm, nein", musste ich gestehen. "Dann tu auch nicht so."
Abwehrend hob ich die Hände, obwohl mir klar war, dass sie mich nicht sehen würde. Gestik und Mimik zu unterdrücken ist keine leichte Aufgabe. "Ich wollte dich nicht beleidigen, tut mir Leid. Was gibt's denn?" "Du wirst es nicht glauben", hob sie an. "Aber..." "Du wurdest bei der MOA angenommen?" Ich konnte förmlich hören, wie ihr der Kiefer herunterklappte. Eine Weile blieb es still. Irgendwann fand sie ihre Sprache wieder. "Spionierst du mir etwa nach?" "Nein", lehnte ich grinsend ab. "Woher weißt du das denn dann bitteschön?", fragte Maya verwirrt.
"Guck noch mal in den Umschlag", sagte ich. "Da ist noch ein zweites Blatt mit all unseren künftigen 'Mitschülern'. Findest du den Begriff eigentlich auch so, als würden wir wieder in die Grundschule degradiert werden?" "Nicht wirklich", gab sie achselzuckend zurück (so klang es zumindest). "Immerhin müssen wir viel lernen, wenn wir in 'Interplanetarer Diplomatie' bestehen wollen. Nein, warte, Diplomatie passt nicht zu dir. Welches Fach belegst du?"
"Also 'diplomatisch' warst du gerade auch nicht", gab ich zurück. "Ich kann nichts dafür, das kommt von meiner Erziehung", antwortete Maya trotzig. "Du hast übrigens meine Frage nicht beantwortet." "Na schön, wenn du es unbedingt wissen willst; ich werde 'Superluminare Antriebstechnik' studieren." "Also Antriebe, die Raumschiffe schneller als das Licht durch den Raum bewegen?" "Ja."
"Dir ist schon klar, dass das ein Fach für Träumer ist? In all den Jahrhunderten menschlicher Raumfahrt sind wir nicht nennenswert über den Mars hinaus gekommen. Außerdem gibt es da diese unangenehmen Dinge namens 'Naturgesetze', die nicht gebrochen werden können." Mit einem mal klang sie sehr ernst.
"Ich weiß", stöhnte ich und ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen. "Dieses Gespräch hatte ich schon mit so ziemlich jedem, dem ich davon erzählt habe. Und ich bin immer noch der Ansicht, dass diese Naturgesetze jede Menge Raum für Schlupflöcher bieten. Was ist mit Alcubierre* (mit * gekennzeichnete Begriffe werden im Glossar näher erläutert)? Oder Wurmlöchern? Sobald wir die kontrollieren, kontrollieren wir das Universum!"
"Das klingt ziemlich größenwahnsinnig." "Ist es ja auch! Aber nur, wenn wir unsere Ziele so hoch setzen, wie wir können, werden wir die Dinge erreichen, von denen wir wirklich träumen. Ich glaube daran, dass es eines Tages eine Zivilisation geben wird, die die ganze Galaxie umspannt!"
"Wenn du meinst." Ich meinte, ein Lächeln aus ihren Worten zu hören. "Vielleicht solltest du dich zu den Idio... Leuten gesellen, die sich in Kryoschlaf versetzen lassen, um eines Tages in einer glorreichen Zukunft aufzuwachen. Jedenfalls freue ich mich schon darauf, da oben mit dir hinzufliegen. Wenigstens ein vertrautes Gesicht."
"Vielleicht lasse ich mich ja irgendwann einfrieren, mit der Bitte, mich erst aufzuwecken, wenn unsere Zivilisation 500 Lichtjahre umfasst", antwortete ich patzig. "Aber ich freue mich auch schon darauf, da oben nicht alleine zu sein." Mein Vater pochte ungeduldig mit den Knöcheln auf die Tischplatte und räusperte sich vernehmlich.
"Ich muss weg", sagte ich entschuldigend. "Wir sehen uns dann in 14 Tagen?" "In 14 Tagen", bestätigte Maya. Dann verschwand ihr Avatar, die Verbindung war unterbrochen. Als ich aufblickte, begegnete ich dem mitleidigen Blick meines Vaters.
"Du hast wirklich keine Ahnung von Frauen", sagte er. Ich ging durch die Decke. "Wie oft noch!? So ist das nicht!" Dann stürmte ich aus dem Raum.
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Abbadon
Ciencia Ficción500 Lichtjahre. So weit erstreckt sich der 'Zivilisierte Raum', das Gebiet, in dem jeder in Not geratenen Raumfahrer auf Hilfe seitens der Union hoffen kann. Oder eher konnte. Seit der Krieg gegen die Allianz ausbrach, verhallen immer mehr Hilferufe...