Kapitel 3 - Zurück zum Anfang

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An den vermutlich Obdachlosen erinnerte ich mich erst am Tag des Aufbruchs.

Es begann vielversprechend. Ich war so aufgeregt, dass ich mein Implant anwies, überschüssiges Adrenalin abzubauen, damit ich mich nicht noch übergeben musste. Der Aufbruch geschah ein wenig spät und war mit einer Menge Chaos verbunden. Das lag vor allem daran, dass wir drei mal los fuhren. Beim ersten Mal vergaßen wir gleich mein ganzes Gepäck, als wir das verstaut hatten, fuhren wir wieder los, bis ich bemerkte, dass mein Pass noch zu Hause auf meinem Schreibtisch lag. Gleiches Spiel ein weiteres Mal, zurückgefahren, aus dem Wagen gesprungen, Pass vom Schreibtisch genommen, wieder ins Auto gesprungen und endlich auf den Weg nach Bielefeld gemacht.

In einer Welt mit rückläufigen Populationszahlen, waren Millionenstädte scheinbar paradoxerweise größer geworden, was daran lag, dass zentrale Verteilung von Gütern einfach effizienter und günstiger war, dazu kam noch, dass das Lebensgefühl durch eng beieinander lebende Menschen aufgrund zahlreicher Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Unannehmlichkeiten kaum noch eingeschränkt wurde. Zusätzlich nahm auch die Zahl der Städte insgesamt ab.

Bielefeld war wohl eine der merkwürdigsten Städte überhaupt. Schon seit dem 20. Jahrhundert ging das Gerücht um, die Stadt würde überhaupt nicht existieren, was so einiges über ihre Bedeutung damals aussagt (gar nicht mal so gering, immerhin bekommt wohl nicht jede Stadt ihre eigene Verschwörungstheorie). Im Gegensatz zu den meisten anderen Städten mit unter einer Million Einwohnern war sie nicht im Zuge der 'Renaturierung' zur Eindämmung der Schäden durch den Klimawandel und um ohnehin ungenutzten Lebensraum wieder für Tiere und Pflanzen frei zu machen eingeebnet und das umliegende Gebiet in eine Wald- und Wiesenlandschaft umgewandelt worden.

Stattdessen war aus irgendeinem Grund trotz der für Orbitalstarts eigentlich vollkommen ungeeigneten geographischen Lage und den ebenfalls ungünstigen Wetterbedingungen sowohl für die Raumfahrt als auch für das alltägliche Leben nicht nur eine der größten, modernsten und wirtschaftlich stärksten Metropolen in ganz Europa entstanden, sondern auch ein formidabler Raumhafen entstanden.

Letzterer war weniger bedeutend für die Raumfahrt im Erdorbit, da die Position der Stadt so weit nördlich des Äquators jedes Mal wieder treibstoff- und damit kostenintensive Korrekturmanöver notwendig machte. In der interplanetaren Raumfahrt fiel dies weniger ins Gewicht, da der Erdorbit vollständig verlassen wurde. So erwartete mich auch der Shuttle, welcher mich und meine 'Mitschüler' (ich stieß mich immer noch an diesem Wort) zunächst aus der Atmosphäre befördern würde, dort oben nachgetankt werden würde und uns anschließend zur Academy bringen würde.

Der Shuttle war keine Rakete, sondern ein Flugzeug. Wie mir beim Betreten des Terminals von einer etwas zu synthetisch klingenden Stimme erklärt wurde, sollten die Passagiere nicht zu starken Beschleunigungen ausgesesetzt werden, daher würden sowohl der Start jetzt als auch die Landung nach dem dreijährigen Studium via Landebahn erfolgen.

Meine Eltern winkten zum Abschied, meine Mutter drückte mich kurz, ich winkte und drückte zurück, dann war ich auf mich allein gestellt. Vor Aufregung zitternd ging ich zu den anderen, die sich in dem fast verlassenen Terminal zu einer kleinen, etwas verloren wirkenden Grupe zusammengeschlossen hatten.

Ein Junge in etwa meinem Alter, blau gefärbte Igelfrisur, kam auf mich zu, nickte kurz und streckte mir seine in einem fingerlosen Lederhandschuh steckende Rechte hin. "Gehörst du auch zu uns?", fragte er automatisch. Ich nickte. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. "Na dann: Willkommen im Club, man! Ich bin Lance." Überrascht von dem Kontrast zwischen Erscheinungsbild und Verhalten stotterte ich: "Ähm, ich.. Simon. Mein Name- Ich bin Simon."

Lance lachte. "Wunderst dich, dass jemand wie ich sich so benimmt wie du?" Mein Mund klappte auf, dann wieder zu. "Keine Angst, man, nehm' ich dir nicht übel", lachte Lance. "Das schockt erst mal jeden. Aber so lange du mir nicht krumm kommst, bin ich ganz umgänglich." Ein seltsamer Gedanke formierte sich in meinem Kopf und schoss aus meinem Mund, bevor ich ihn aufhalten konnte. "Du bleibst umgänglich, wenn dir irgendjemand krumm kommt, es sei denn, derjenige bin ich?"

AbbadonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt