Kapitel 4 - Erwachen

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Ich erwachte blind. Das war mein erster Gedanke.
Ich hatte die Augen noch nicht geöffnet. Mein zweiter Gedanke.

Es riecht hier überhaupt nicht verbrannt, stellte ich verwundert fest. Warum war ich verwundert? Es sollte doch nicht verbrannt riechen. Stück für Stück fiel mir dann wieder ein, was mit mir geschehen war. Ich krümmte mich innerlich.

Das brachte mich auf zwei neue Erkentnisse. Erstens: Ich konnte mich nur innerlich krümmen, aber nicht äußerlich. Hieß das, ich war gelähmt? Ich konnte jedenfalls keinen Muskel bewegen, nicht einmal die Augen öffnen.

Zweitens: Ich war unter Wasser. Zumindest fühlte es sich so an. Eine feuchte Kühle drückte auf meinen Körper, von allen Seiten gleichmäßig. Nur um Mund und Nase spürte ich Luft. Ich trug offenbar eine Art Atemschutzmaske.

Ein neuer Kontakt wurde mir gemeldet. Ich nahm an. Warum nicht? Was konnte an diesem Tag noch schlimmer kommen, als erst von orbitalen Bomben und dann von einem explodierenden Flugzeug gesprengt zu werden?

Anstelle eines Avatars erschien das Bild eines jungen Mannes mit strengem Blick und ebenso streng zurückgekämmten Haaren in eine Kamera zu blicken schien.

"Sagen Sie nichts", sagte der Mann und schenkte mir ein halbes Grinsen. "Nicht, dass Sie könnten, Entschuldigung. Ich habe Sie geweckt, um Sie vor eine Wahl zu stellen." Eine Wahl? Mein Verstand arbeitete sich ein wenig träge durch die aufkommenden Fragen, gab dann aber auf. "Sie müssen wissen, dass die Wunden, die Sie bei unserem Angriff davongetragen haben, äußerst schwerwiegend sind. Hinge Ihr Leben von der Medizin der Erde ab, wären Sie schon tot, und auch wir hätten beinahe versagt." Er zögerte einen Moment lang.

"Es ist nicht so, dass Sie bleibende Schäden davontragen würden", bemühte er sich dann, mich zu beruhigen. Oder wollte er sich selbst beruhigen? "Im Gegenteil, es könnte sich sogar vorteilhaft auf Ihren zukünftigen Werdegang auswirken. Allerdings werden Sie einige andere Dinge für immer verlieren. Auch in Ihrem Alltag werden Sie viele Dinge ändern müssen. Wenn Sie damit einverstanden sind, dass ich meine Arbeit an Ihnen abschließe, ganz gleich, was Sie das später kosten könnte, dann denken Sie bitte so stark an die Antwort 'Ja', wie Sie können. Wenn Sie das nicht tun, dann werde ich die Maschinen abschalten, die Sie gegenwärtig am Leben halten.

Ich gebe Ihnen eine Minute, um darüber nachzudenken. Wir müssen mich beeilen. Streng genommen ist es nicht ganz legal, Sterbehilfe anzubieten, geschweige denn auszuführen. Also habe ich hier nicht viel Zeit."

Das Bild des Arztes verschwand, und an dessen Stelle stand nun ein Countdown.

1:00, 0:59, 0:58...

Ganz gleich, was mich das später kosten könnte. Das klang beunruhigend.

0:56, 0:54, 0:53...

Andererseits bekäme ich mein Leben zurück. Mit 18 war ich noch nicht bereit zu gehen. Noch lange nicht!

0:48, 0:47, 0:46...

Außerdem: Schuldete nicht jeder, dessen Leben gerettet worden war, seinen Rettern zumindest moralisch etwas? Es wäre nicht allzu beunruhigend, diese Schuld auch tatsächlich eingelöst zu sehen.

0:40, 0:39, 0:38...

Ich würde 'in meinem Alltag viele Dinge ändern müssen'. Was hatte der Wissenschaftler damit gemeint?

0:33, 0:32, 0:31...

Warum interessierte mich das überhaupt? Ich hatte mich schon dazu entscheiden, einiges zu ändern, als ich mich bei der MOA beworben hatte. Also hatte ich auch in dieser Hinsicht nicht viel zu verlieren.

AbbadonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt