Kapitel 6 - Angriff

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"Wir sind also alle Anfänger?" Das war meine erste Frage unterwegs. Ich hörte dreistimmiges Lachen über die Comverbindung, und auch Shepard klang amüsiert, als er antwortete. "Nur, wenn Sie wochenlanges Simulatortraining und jahrelange Vorbereitung im Umgang mit Kampfsportarten und Waffengebrauch bei Anfängern für gegeben halten. In der Tat sind Sie der einzige, der wirklich als 'Anfänger' eingestuft werden sollte. Dafür kennen Sie sich mit dem Planeten aus, und das ist ein größerer Vorteil, als Sie sich vielleicht eingestehen wollen.

Dabei fällt mir ein, Sie kennen sich noch gar nicht. Es wird noch ein wenig dauern, bis es ernst wird, also schlage ich vor, ich mache Sie alle einmal miteinander bekannt. Shen, Cooper, Lentz und Jay, Sie kennen einander schon. Der Junge vor Ihnen ist Messner. Er ist von der Erde, also erwarten Sie nicht übermäßig viel von ihm."

"Hi" Cooper wurde vom Interface sofort mit Namensschild versehen. Das war praktisch, denn vollständig gepanzert waren Jay, Cooper, Lentz und Shen nicht voneinander zu unterscheiden. Ich ragte heraus, da meine Arme und Beine frei blieben – nicht, dass sie den Schutz gebraucht hätten – und auch Commander Shepard war an seinen Rangabzeichen zu erkennen.

"Wie geht's?" Lentz streckte mir die Hand entgegen. Shen tippte sich an den Helm und winkte. "Defektes Mikro", erklärte Shepard missmutig. "Wir haben Ausrüstung, die Sie sich nicht einmal vorstellen können, und trotzdem brennen noch immer die Sicherungen durch. Es geht wirklich abwärts mit der Qualität der Sachen, die wir bekommen. Shen wird aber weiterhin weiterhin die Befehle befolgen können." Zur Bestätigung salutierte Shen kurz. "Also hört sie auch alles, was ihr über sie zu sagen habt."

Der Rest des Fluges verging ebenso schwerelos wie schweigsam. Nachdem unser Pilot, Joker, ns mit einem schmerzhaft heftigen Manöver auf eine Flugbahn gebracht hatte, die uns beinahe exakt auf Kurs gebracht hatte, war die Nutzung der Triebwerke nicht mehr notwenig, wir befanden uns im freien Fall um die Erde und auf sie zu. Künstliche Schwerkraft, wie es sie auf dem großen Schiff gegeben hatte, verschlang zu viel Energie und benötigte zu große Anlagen, als dass sie in einen kleinen Truppentransporter gepasst hätten.

Ich hatte unterdessen nicht die geringste Lust, mich noch einmal von Commander Shepard darüber belehren zu lassen, wie unfähig und unerfahren ich doch war. Im Grunde genommen war es genauso wie oft auch zu Hause. Wenn ich interessierte Fragen stellte, hatten auch meine Eltern es immer wieder geschafft, daraus Lektionen für mein Leben zu machen, oft mit dem Vorwurf gekoppelt, was ich alles nicht machte.

Der Gedanke an meine Eltern verpasste mir einen schmerzhaften Stich. Die Straße, auf der wir zum Raumhafen am äußersten Stadtrand gefahren waren, hatte an Bielefeld vorbei geführt. Wenn sie die gleiche Route zurück genommen hatten, waren sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau in den Bombenhagel gefallen.

KEWs. Massenvernichtungswaffen, so sauber und günstig, wie es für eine raumfahrende Zivilisation möglich war. Kein Fallout, keine Produktionskosten. Man nahm einfach ein paar Steine und warf sie dann mit entsprechend starken Raketen aus dem Orbit auf ein Ziel der Planetenoberfläche. Verteidigungsanlagen wurden sofort vollständig vernichtet, Gegenmaßnahmen waren so gut wie unmöglich. Einem Geschoss, das mit orbitaler Geschwindigkeit angeflogen kam, auszuweichen oder es gar zu zerstören, war beinahe unmöglich. Und wenn man es schaffte, eine KEW zu sprengen, waren die Einzelteile immer noch auf Kurs zur Erde.

Der Nachteil: Die Kollateralschäden beliefen sich immer auf Tausende bis Millionen von Menschen. An diesem Punkt werden Menschen zwangsläufig zu Zahlen degradiert. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, wenn eine Million Menschen ausgelöscht werden. All die Freundschaften, familiären Bande, alle Errungenschaften und Fehlschläge, die glücklichen und traurigen Momente im Leben so vieler Personen, auf einen Schlag reduziert zu nichts als Staub im Wind.

AbbadonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt