In Polen ein Klassiker, in der Schweiz kaum bekannt: Der Jugendstil-Roman «Folge dem Ruf des Herzens» von Helena Mniszkówna entführt den Leser in die untergegangene Welt des polnischen Adels.
Der Plot könnte aus Jane Austens Feder stammen: Die junge Stefania tritt eine Stelle als Gouvernante bei einer hochadligen Familie auf einem Landgut an. Das hübsche Mädchen aus dem verarmten Kleinadel verliebt sich dort in einen reichen Aristokraten. Standesdenken und soziale Ächtung stehen dem jungen Paar im Weg. Zwar bekommt die Gouvernante am Ende den Prinzen, doch anders als bei Jane Austen kann es ein glückliches Ende nicht geben.
Das Buch erschien erstmals im Jahr 1909 und wurde ein grosser Erfolg. Die Autorin stammte selbst aus dem Landadel und hatte eine Romanze zu einem viel reicheren Mann, der sie allerdings – anders als der Protagonist im Buch – nach einer kurzen Affäre verliess. Diese Erfahrung verwendete Helena Mniszkówna für ihren Roman.
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(Bilder: Ruinen eines ehemaligen Prinzen-Landsitzes in Ostpolen)
Es ist die Welt der Waldspaziergänge, der trillernden Vögel, der ausschweifenden Dialoge, der Klaviermusik, des Vorlesens französischer Romane, der Kahnfahrten auf dem See mit weissen Schwänen und des Plauderns mit gütigen alten Männern. Das Buch ist voller pathetischer Naturbeschreibungen:
«Der Mond erhellte die Tiefen des Parks, breitete seinen Schein über dem Wasser aus wie ein silbernes Netz. Die Rosen verströmten ihren süssen Duft, hier und da glühten Johanniswürmchen tief im Gesträuch; der Abend lud zum Träumen ein.»
Ist das Kitsch? Ja, teilweise ist das Buch recht trivial. Und für heutige Leser sicherlich schwülstig geschrieben. Die Protagonistin benimmt sich nach heutigem Empfinden kokett, albern, ja fast peinlich. Aber das Buch bietet einen authentischen Einblick in die polnische Aristokratie des 19. Jahrhunderts, die damals zweigeteilt war: Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung gehörten dem niederen und teilweise verarmten Landadel an, wohingegen eine kleine Minderheit zum reichen Hochadel gehörte. Das Buch ist eine Kritik am Standesdenken, wobei diese – wie bei Jane Austen – nicht konsequent zu Ende gedacht ist, denn sie beschränkt sich nur auf die Welt des Adels.
Der Reiz des Buches macht die sanfte Liebesgeschichte aus: Es ist ein langsames Werben, ein allmähliches Sichnäherkommen. Dies ist eine Wohltat im Vergleich zu Liebesgeschichten in Zeiten von Tinder, Online-Dating und Friends with benefits.
Helena Mniszkówna, Folge dem Ruf des Herzens, Marion von Schröder Verlag, München 2000.