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Ich atmete noch einmal tief ein, dann öffnete ich die schwere Eingangstür vor mir. Drinnen war es dunkler als draußen und die Luft war sehr stickig. Eine Stimme durchbrach die Stille: „Wer ist da?" Die Frage war nicht laut gestellt worden, doch sie klang schneidend. „Ich bin es Tante Ira." Ich wusste selbst, wie unterwürfig ich klang, doch ich wusste auch, dass ich sie jetzt nicht verärgern durfte. Eine alte Frau kam auf einen geschnitzten Stock gestützt aus einem der Zimmer in der oberen Etage. 

„Was willst du hier? Ich hatte dir verboten herzukommen." Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. „Tante Ira, es tut mir furchtbar leid, was letzte Woche geschehen ist." Nein tat es nicht. „Aber ich verspreche, das so etwas nicht noch einmal passieren wird." So etwas bedeutete, dass ich ein paar alte, homophone Frauen beleidigt und eine teure Kuchenplatte zerdeppert hatte. „Ja, das wird nicht wieder vorkommen, da du bei mir nicht mehr willkommen bist und deswegen nicht noch einmal mit meinen Freundinnen zu tun haben wirst. Ich will dich hier nicht wieder sehen, geh mir aus den Augen, aber plötzlich." 

Autsch, das tat weh. Als sie es mir kurz nach dem Vorfall gesagt hatte, da dachte ich, das wäre nur eine kurzfristige, gerade entschiedene Sache, eine Reaktion auf mein Verhalten, etwas, was jetzt anders aussieht. Tja, war es nicht. „Aber du bist die einzige richtige Familie, die ich habe." Also neben Mo und Tanja. Mo war meine Stiefmutter, die mich hasste, aber trotzdem für mich sorgen musste, nachdem auch mein Vater gestorben ist. Tanja war meine Freundin seit drei Jahren und die einzige Person, die ich liebte und die mich auch liebte. 

„Du hast dich unverantwortlich verhalten. Meine Freundinnen sind entsetzt. Du hast mich vor ihnen bloßgestellt. Da wirst du dich sehr ins Zeug legen müssen, wenn du das wieder gut machen willst." Sie schaute mich durch ihre Brille scharf an und dennoch atmete ich erleichtert aus. „Du wirst mir bei der Hausarbeit helfen, da Josephine im Mutterschutz ist. Du bekommst von mir acht Euro die Stunde dafür. Die Platte, die du zerstört hast war 400 Euro wert, deswegen wirst du das Geld dafür nutzen, die Platte abzubezahlen." Ich schluckte. Das Ding war so viel Wert? Ich hatte gedacht, das wäre irgendeine hässliche Platte von einer IKEA Kollektion für alte Frauen. 

Aber das war die beste Möglichkeit, außerdem war Tante Ira meine einzige Hoffnung, wenn Mo mich eines Tages (der höchstwahrscheinlich bald war) rauswarf. „Das ist ein guter Plan. Es tut mir wirklich leid, dass ich die Platte kaputt gemacht habe und dass ich dich vor deinen Freundinnen bloßgestellt habe. Aber ich reagiere auf dieses Thema eben empfindlich. Es ist nicht schön indirekt von irgendwem für seine Sexualität beleidigt zu werden." 

Tante Ira kam die Treppe herunter und langsam auf mich zu. „Liebes, das weiß ich doch. Ich kann es auch verstehen, doch bitte, bitte, halte deine Wut das nächste Mal zurück und rede sachlich mit ihnen." Ich nickte. „Ich werde es versuchen, dir zu liebe."

Und auch mir zu Liebe.

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