Kapitel 3

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Ein Klopfen an ihrer Schulter weckte Amelie, vorsichtig hob sie den Kopf. Ihr Nacken schmerzte von der Position, in der sie an Carlas Schulter gelehnt hatte, die halb gegen sie und halb gegen das Bücherregal gelehnt leise schnarchte.

Nicko hatte sich aufgesetzt, er war es, der sie geweckt hatte. Ein wenig misstrauisch betrachtete er Carla. „Wer ist sie?", flüsterte er, wohl um sie nicht aufzuwecken.

Amelie zuckte mit den Schultern. „Carla. Sie wird auch von den Narbengesichtern gefangen gehalten, mehr weiß ich nicht.", antwortete sie. Etwas hielt sie davon ab, Nicko von Carlas Tochter zu erzählen. Es fühlte sich zu intim an, als sei das eine Information, die nur für sie bestimmt war.

Vorsichtig löste sie sich von der Schlafenden und stand auf, ließ mit einer schwungvollen Bewegung ihren Rücken knacken. Nicko verzog das Gesicht, was ihr ein ganz kleines Grinsen entlockte. „Du weißt, dass ich das hasse.", murrte er, immer noch so leise, dass er Carla nicht weckte.

Amelie kicherte, der Schlaf hatte ein wahres Wunder bewirkt. Ausgeschlafen war sie ausgeglichener als sonst, in diesem Moment erlaubte sie sich einen kurzen Anflug von Optimismus. Ein Blick auf Carla sagte ihr, dass es vielleicht auch etwas mehr als nur die Ruhe war, die ihr das Lächeln leichter machte. Die Frau strahlte etwas aus, dass sie entspannen ließ, so sehr, dass sie sich wunderte, dass Nicko es nicht zu spüren schien. Vielleicht war es aber auch der Fakt, dass sie lange kein so offenes Gespräch mehr geführt hatte, wie das mit Carla.

Es erschien ihr so fern, Jahre her, die Erinnerung war schwammig und unwirklich. Sie hatte einst vertraut, offen geredet, viele Freunde gehabt. Doch das war ein anderes Leben, eine andere Welt. Bevor alles zusammen brach.

Ihr Grinsen war wieder dem emotionslosen Ausdruck gewichen und Nicko seufzte. „Ich wünschte du würdest häufiger Lächeln.", brummte er, doch sie ging nicht darauf ein. Nicko war ihr schon viel zu nah und auch Carla hatte ein paar Steine aus ihrem Schutzwall gelöst.

„Wir sollten einen Ausweg finden.", murmelte sie, und ging zur Tür, auf dem Weg klatschte ihr ein eiskalter Tropfen in den Nacken. Ein lauter Fluch entwich ihr, so unvermittelt, dass Nicko zusammen zuckte. „Hey, Amelie... Es ist doch nur Wasser."

Er legte den Kopf in den Nacken, betrachtete die Stelle, von der aus der Tropfen sich seinen Weg gebahnt hatte. „In dem Gebäude, wo ich früher gearbeitet habe, gab es auch solche Deckenplatten.", meinte er nachdenklich.
Ein wenig verständnislos sah Amelie ihn an. „Und was soll mir das sagen?"
Er brachte sie mit einer Geste zum schweigen. „Schhh. Lass mich nachdenken. Wir hatten mal ein Rattenproblem. Die Viecher schienen immer wieder zu kommen. Und weißt du warum?", er sah sie erwartungsvoll an.

„Was weiß ich schon über Ratten?" Sie zuckte mit den Schultern.
Nicko grinste triumphierend. „Sie sind immer wieder gekommen, weil sie sich in den Hohlräumen zwischen den Decken und den Böden des nächsten Stockwerks versteckt haben. Da sind Hohlräume, Amelie, und sie könnten groß genug sein, um hindurch zu kriechen!" Er strahlte, langsam hellte sich auch ihr Gesicht auf.

„Wir müssen nur die Silikonverdichtung weg kratzen, die ja sowieso schon spröde zu sein scheint und in einem nicht abgeschlossenen Raum wieder runter!" Nickos Augen strahlten förmlich, er hatte Mühe, seine Stimme ruhig zu halten, um Carla nicht aufzuwecken.

Amelie biss sich auf die Lippe, es fuchste sie ein wenig, dass sie nicht selbst auf die Idee gekommen war. „Und was machen wir mit ihr?" Sie nickte in Carlas Richtung." „Wir können sie doch nicht einfach so hier lassen."

Nicko runzelte die Stirn. „Können wir nicht? Wir kennen sie nicht. Normalerweise ist dir so etwas doch egal."

Unsicher senkte Amelie den Kopf. Sie wollte nicht zugeben, dass der wenige Kontakt dafür ausgereicht hatte, dass Carla ihr nicht egal war. So gut es ging versuchte sie eine Begründung zu finden, die jegliche emotionale Komponente ausschloss.
„Du bist verletzt, und ich kann dich nicht ewig alleine stützen. Es kann sein, dass wir sie brauchen."
Nachdenklich sah Nicko auf sein Bein herunter, dass in den schmutzig weißen Verband gewickelt war. Die Euphorie über den Fluchtplan hatte ihn sein eigenes Handicap vergessen lassen. „Du hast Recht.", gab er zu. „Also. Was ist der Plan?"

Searching for HerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt