,,Wo hast du gelernt, so damit umzugehen? Ich meine, der Griff, mit dem du ihn aus dem breiten Rollstuhl in den Schmaleren hier für die Wohnung gehoben hast, sah wirklich professionell aus."
,,Wir hatten zu Beginn eine kleine zierliche Pflegerin. Sie hat mir alles beigebracht. Theoretisch wäre sie auch noch da, hätte die Krankenkasse nicht gesagt, dass wir nur entweder eine neue Wohnung oder eine Hilfskraft bekommen können. Wir haben uns dann das Geld für eine neue Wohnung auszahlen lassen und haben davon die Wohnung unter meiner gekauft und haben diese dann behindertengerecht umgebaucht."
,,Ich wusste doch, dass mir die Gegend bekannt war. Stört es Leroy nicht, dass wir jetzt im Wohnzimmer sind und er sonst wo? Was ist, wenn er Hilfe braucht und wir hören ihn nicht und es passiert ein Unglück?"
,,Wieso sollte ihn das stören? Er will auch mal alleine sein. Übrigens höre ich ihn gut. Dass man jenanden überhört, seien wir mal ehrlich, passiert nur in Filmen und er kann wirklich laut schreien, glaub mir. Er kann mich immerhin nachts aufwecken, wenn er zur Toilette muss und ich schlafe eigentlich ziemlich tief."
,,Stimmt, du hast sogar den Feueralarm überhört bei dem Schüleraustausch. Ich erinnere mich lebhaft daran, dass ich deshalb mehr Panik hatte als wegen der Uhrzeit oder dem bloßen Alarm."
,,Das ist allerdings auch schon über 4 Jahre her. Seitdem hat sich viel verändert."
,,Kann ich dir irgendwie helfen?"
,,Wobei willst du mir denn helfen?"
,,Hier mit ihm. Ich könnte ab und zu für euch kochen, oder die Wohnung putzen, oder sonst was machen."
,,Danke, wir kommen sehr gut alleine klar. Wir brauchen nicht noch eine Person hier, die im Endeffekt auch nur dumm im Weg rumsteht."
,,Ich möchte dir aber wirklich unter die Arme greifen! Du siehst hundemüde aus. Wir könnten doch abwechselnd hier schlafen und bei mir und dann kannst du bei mir mal richtig durchschlafen. Du hast es wirklich nötig, dich mal auszuruhen, Ruben."
,,Du würdest ihn doch gar nicht heben können. Außerdem was soll das? Wieso willst du dich so aufdrängen? Wir kommen gut klar und ich habe dich weder um Mitleid noch um Hilfe gebeten."
,,Ich sehe doch aber, dass du auf dem Zahnfleisch gehst. Sei doch nicht immer so stur und lass mich dir helfen. Ich verlange doch auch gar nichts als Gegenleistung!"
,,Das wäre ja auch noch schöner, wenn du dafür etwas bekommen würdest. Du bietest es doch eh nur an, damit du später sagen kannst, dass du mal einen Jungen im Rollstuhl mit gepflegt hast. Das macht sich bestimmt prima in deinem Lebenslauf!"
,,So ein Quatsch, das stimmt nicht! Denkst du das wirklich?"
,,Du gibst mir keinen Anlass, dein Verhalten anders zu verstehen. Wie soll ich dann gut über dich denken?"
,,Meine Güte, du kennst mich doch von früher noch. Reicht das nicht für deine Meinungsbildung?"
,,Dein aktuelles Verhalten zeigt nur, dass du nicht mehr die Imogen bist, die ich gekannt habe. Sie hätte nie alles nur zu ihrem Nutzen gemacht und hätte ganz sicher niemanden einfach so verfolgt."
,,Wieso denkst du eigentlich, dass ich alles nur für mich mache? Leroy ist ein Freund und du auch und Freunden helfe ich einfach, weil ich sie mag und nicht für den Lebenslauf. Also hör auf, die Wahrheit zu verdrehen."
,,Wir brauchen dich aber nicht, versteh das doch! Du tust ihm weh, wenn du auftauchst und dann wieder gehst."
,,Ich will doch gar nicht mehr gehen! Dafür habe ich diese Stadt und euch viel zu sehr vermisst."
,,Wir haben dich nicht darum gebeten, wiederzukommen. Von mir aus kannst du machen, was immer du willst, solange du uns in Ruhe lässt. Jetzt geh endlich."
,,Aber ich könnte doch noch zum Abendessen bleiben und dir..."
,,Das ist meine Wohnung und du störst mich. Hau ab!"
,,Ist... ist schon gut."
,,Du gehst schon?"
,,Ja, ich... ich habe noch etwas vor."
,,Bis bald!"
Zu gerne hätte sie gesagt, dass es ihr Herz zerreißt, jetzt die Tür hinter sich zu schließen, aber es geht nicht anders, wenn man den Besitzer stört, muss man gehen, das weiß sie genau so gut, wie dass Ruben selten scherzt und daher jedes Wort so gemeint hat, was ihr Herz erneut zerrissen hat, und trotzdem möchte sie auf keinen Fall einen Keil zwischen die beiden Freunde treiben, die ihr Leben auf einander abgestimmt haben und ohne den anderen bestimmt nicht mehr funktionieren würden.