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Stockdunkel war es in der Küche. Die junge Mutter konnte kaum das Glas in ihrer Hand erkennen, in das sie sich eben noch Wasser gefüllt hatte. Längst würde sie schlafen, doch hielt sie eine Unruhe wach, die sie schon viel zu lange begleitete.

Ihre Tochter war gerade ein paar Monate alt. Sie liebte ihr Kind und war mit ihrem Leben zufrieden, sie war glücklich. Und dennoch war da etwas, das sie störte. Nicht nur störte, sondern sie schmerzte. Sie hätte es wissen müssen. Sie hätte wissen müssen, dass er sie nicht so liebte wie sie ihn. Dass sie ihm bald zu langweilig werden würde. Dass selbst eine Hochzeit ihm nichts wert war.

Nichts hatte einen Wert für ihn. Keine Liebe. Keine Familie. Nur er selbst.

Und so blieb sie wach. In der Hoffnung, ihre schlimmsten Vermutungen würden nicht wahr werden. Vielleicht hatte er wirklich noch etwas wichtiges zu erledigen. Mitten in der Nacht. Und war deswegen den ganzen Tag nicht einmal zu Hause.

Ihre Hoffnung würde sie sich niemals nehmen lassen.

Als der Schlüssel in der Haustür knackte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Ihre Hände waren feucht, hastig stellte sie das Wasserglas wieder auf der Küchenzeile ab. Sie richtete sich ihr blondes Haar notdürftig, das vollkommen durcheinander von ihrem Kopf abstand. Sie war bei ihrer Tochter kurzzeitig eingenickt.

Als sie sich räusperte, kam er mit seiner Aktentasche durch die Küchentür geschlichen. Sein Anzug saß nicht richtig, das Hemd hing aus der Hose heraus und die Krawatte trug er in der Hand mit sich. Sein eigenes Haar war ebenfalls nicht mehr perfekt zurückgekämmt. Gleich fühlte sie sich nicht mehr so minderwertig.

Als er sie bemerkte, hob der Vater erstaunt den Kopf, kam dann aber langsam auf sie zu. Er stellte seine schwarze Tasche ab und näherte sich ihr. Er brachte Kälte mit in die Wohnung.
"Schatz, warum schläfst du denn noch nicht? Es ist fast Mitternacht."

Sie zog ihren Kopf weg, als er ihr einen Kuss aufdrücken wollte.
"Hast du getrunken?"
Sie flüsterte. Ihre Tochter sollte nicht aufwachen.

Verwirrt zog er sich zurück und lehnte sich dann resigniert an die Theke. Eine Hand fuhr über sein Gesicht. Plötzlich sah er erschöpft aus.
"Vielleicht ein, zwei Gläser mit ein paar Arbeitskollegen zusammen. Aber das war heute und sonst nie wieder."

Sie schlang ihre dünnen Arme um sich. Ihr Körper zitterte. Sie fror entsetzlich.
"Warum kommst die immer erst nachts nach Hause? Du musst doch gar nicht so lange arbeiten."
Vorwurfsvoll sah sie ihm in die Augen. Fragend. Vielleicht hatte sie doch unrecht. Vielleicht.

"Schatz, bitte. Ich bin müde-", versuchte er dieses Gespräch zu umgehen. Doch das würde er nicht schaffen. Diesmal nicht. Denn es war schon viel zu lange nötig.

"Bin ich dir zu langweilig geworden? Liebst du deine Tochter denn überhaupt nicht?"

"Natürlich liebe ich sie. Ich liebe euch beide. Was sollen diese Fragen denn?"

"Wie kannst du sie lieben, wenn du nichts von ihr weißt? Nichts mit ihr erlebt hast?", fuhr sie anklagend fort, ohne seine eigenen Fragen zu beachten.
"Du warst nicht dabei, als sie zu laufen begann. Du warst nicht dabei, als sie ihren ersten Zahn bekam. Oder als sie das erste Mal mit zwei Fingern nach etwas griff."

Tränen liefen ihr nun über die kalten Wangen. Sie hätte nicht so lange barfuß auf den Fließen der Küche stehen sollen. Auf ihn warten sollen.

"Du weißt nichts über sie und willst sie lieben? Warum bist du nie hier?"

Ein Schluchzen entwich ihr. Sie zitterte unaufhörlich. Die salzigen Tränen tropften auf die blauen Fließen.

"Schatz, bitte. Wie sollte ich euch nicht lieben? Ihr seid meine Familie."

Er wollte nach ihr greifen. Sie in die Arme nehmen. Doch sie ging einen Schritt zurück, zog mit einem Schniefen ihre Nase hoch. Man konnte spüren, wie die Luft kälter wurde, als sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.

"Was soll ich tun?"

Ein letzter Versuch. Er wollte sie nicht verschwinden sehen.

"Triff dich nicht mehr jede Nacht mit ihr. Wir sind deine Familie und keine andere Frau."

Die Zeiger der Küchenuhr an der Wand lagen genau übereinander. Es war Mitternacht. Eisige Stille herrschte. Keiner getraute sich sich zu bewegen. Oder zu atmen.

Einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Als hätte sich die Erde aufgehört zu drehen, aus Respekt vor der jungen Mutter, die gerade ihre Familie verlor. Und aus Ärger über den jungen Vater, der es nicht geschafft hatte seine Familie beisammen zu halten.

Ihr Nicken unterbrach den gespenstigen Augenblick. Sein Schweigen sagte mehr als tausend Worte. Sie hatte Recht behalten, auch wenn sie es nicht wollte. Wenn sie sich noch so sehr wünschte, er würde doch noch etwas sagen.

Doch er wandte nur den Kopf ab. Beschämt. Als hätte er gerade eben erst seine Fehler bemerkt. Warum hatte er das getan? Das fragte er sich selbst.

"Du kannst die Nacht auf dem Sofa schlafen. Ich glaube nicht, dass ich dir noch gut genug bin, um bei mir zu bleiben."

Und trotz ihrer Tränen hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Ihr Leben war hier nicht zu Ende. Ein Fehltritt brachte sie zum Taumeln. Eine falsche Entscheidung zum Stolpern. Doch um sie zum Einsturz zu bringen, bedarf es mehr als das.

Der eine Moment der Stille. Der Augenblick des Schweigens, als die Welt aufhörte zu atmen, als ihre Gedanken kurz ruhten, brachte Klarheit in ihr Gewissen.

Dieser Moment veränderte einiges.

° ° °

-Joiy

00:00 (Zero o'clock) | ShortstoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt