Nur noch eine Minute. Eine Minute müsste sie noch warten, dann würde sich ihr Leben für immer verändern. Hoffentlich.
In einer Minute würde sie nicht mehr jeden Abend in ihrem Bett liegen müssen, um sich wehmütig die ganzen Posts anderer durchzulesen. Wie sie feierten. Wie sie glücklich waren. Wie frei sie waren.
In einer Minute müsste sie nicht mehr ihre Eltern fragen, wenn sie jemanden besuchen wollte. Dann könnte sie endlich selbst fahren. Dann würde sie endlich ihre Freunde treffen können, wann sie es wollte.
In einer Minute würde sie frei sein. In einer Minute würde sie glücklich sein. Ihr Leben würde endlich weitergehen.
In einer Minute wurde sie achtzehn Jahre alt.
Den ganzen Tag war sie schon aufgeregt. Eigentlich schon seit einem halben Jahr. Seit ihr Geburtstag zum Greifen nah lag. Bald wäre es soweit.
Sie saß aufrecht in ihrem Bett und sah aus dem Fenster in den dunklen Nachthimmel. Heute sah sie die Sterne heller und strahlender als zuvor. Als würden sie nur für sie leuchten.Normalerweise hatte sie sich in solchen Nächten immer gefragt, was andere wohl gerade machten. Ob die anderen Menschen wohl auch gerade in ihrem Bett saßen und zu den Sternen sahen? Wen sahen sie dort oben am Himmel leuchten?
Sie hatte sich immer gefragt, ob es jemanden gab, der in solchen Nächten an sie dachte. War sie es wert, dass man sich über sie Gedanken machte?
Doch heute Nacht war alles anders. Heute dachte sie an sich selbst. Sie stellte sich ihre nahe liegende Zukunft vor. Wie sie selbst durch die dunkle Nacht, aber hell erleuchteten Straßen zog. Wie sie selbst mit ihren Freunden lachte. Wann sie es wollte. Und nicht, wenn ihre Eltern es wollten.
In dieser Nacht sah sie sich selbst in den Sternen. Breit lächelnd über das ganze Gesicht. Glücklich und frei.
Ihr Blick wanderte zu ihrem Wecker auf dem kleinen Nachtschränkchen neben ihrem gemütlichen Bett. Ihr Lächeln wurde noch breiter und zufriedener, als die Digitalanzeige auf null Uhr umsprang.
Für einen winzigen Augenblick schien alles still. Der Wind rauschte nicht mehr in den Bäumen vor dem Haus. Die Küchenuhr neben ihrem Zimmer tickte nicht mehr. Sie selbst hielt die Luft an, als wollte sie den Moment der Ruhe, des Friedens nicht stören.
Plötzliche Zweifel kamen auf.
Würde sich nun wirklich alles ändern?
War sie jetzt frei?Was hatte diese Stille zu bedeuten?
Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen, als ihr Handy in ihrem Schoß aufblinkte. Abertausende von Nachrichten strömten auf sie ein. Glückwünsche. Unmengen an Glückwünschen.
Das Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück.
Jemand hatte ihr geschrieben, sie solle rauskommen. Leise stand sie auf und schlich zu ihrem Fenster. Auf der unbefahrenen Straße vor ihrem Haus stand eine kleine Gruppe Menschen. Sie winkten ihr zu. Ihr Strahlen vermischte sich mit dem der Sterne.
Als sie die Treppe nach unten ging, war ihr Herz ganz leicht. Beinahe schwebte sie über den Boden. Ihr Kopf war leer. Nur noch Glück war darin zu finden.
Denn nun war sie frei.
Nun war sie erfüllt.
Der Moment der Zweifel war vorbei. Vergessen.
Als hätte es ihn nie gegeben.
° ° °
-Joiy
DU LIEST GERADE
00:00 (Zero o'clock) | Shortstory
Teen FictionWenn die Uhr Mitternacht schlägt, ist es, als würde die Erde für einen Moment aufhören sich zu drehen. Als würde jeder in seinem Tun innehalten und die Welt gespannt die Luft anhalten. "Ich frage mich, was alles in diesem einen, winzigen Moment pass...