Gelassen fuhr er die dunklen Straßen entlang. Es war noch ein recht weiter Weg bis nach Hause. Seine Schwester neben ihm schlief bereits seit einer Weile an die kühle Fensterscheibe des Autos gelehnt.
Das Radio ließ beruhigende Melodien durch den kleinen Raum klingen. Leicht wie die Federn der majestätischen Pfauen, die die Geschwister heute gesehen hatten, schwebten die Klänge in der Luft.
Ein stolzer Blick huschte zu dem Mädchen auf dem Beifahrersitz. Es gab selten einen Moment, in dem er nicht stolz auf seine jüngere Schwester war. Alles, was sie begann, beendete sie, wie es besser nicht hätte sein können.
Manche bezeichneten sie als Wunderkind. Für ihn war sie immer noch das kleine Mädchen, das seine Zimmerwände mit Wachsmalstiften bekritzelt hatte - auch wenn diese Kritzeleien unwirklich schön für eine Vierjährige waren.
Müde schaute er wieder geradeaus auf die verlassene Straße vor ihm. Die Nacht war schwärzer, als er es von dem Haus seiner Kindheit kannte. Auf dem Land, mitten im Nirgendwo, konnte man jeden noch so kleinen Stern funkeln sehen. Hier blickte einem nichts als Dunkelheit entgegen.
Er vermisste seine Heimat. Doch so war es besser für die Geschwister. Hier konnten sie leben, wie sie es wollten. Wie ihre Eltern es sich für sie gewünscht hatten.
Seine Augenlider wurden schwerer. Krampfhaft bemühte er sich wach zu bleiben. Es war keine wirklich gute Idee gewesen, so spät noch zu ihrer gemeinsamen Wohnung fahren zu wollen. Doch er wollte es seiner Schwester nicht zumuten, eine weitere Nacht im Hotel verbringen zu müssen.
Erneut fielen ihm die Augen zu. Sein Kopf landete kurzzeitig auf seiner Brust, bevor er aufschreckte und sich erschöpft mit einer Hand übers Gesicht fuhr.
Plötzlich erhellte gleißendes Licht das Innere des alten Autos. Erschrocken kniff er die Augen zusammen, als die Lichter in rasender Geschwindigkeit schneller kamen. Seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad.
In diesem Moment sah er vor sich, wie das entgegenkommende Auto sie beide mit sich reißen würde. Er spürte nichts mehr. Eine erschreckende Ruhe breitete sich in ihm aus. Er schloss die schweren Augen, umklammerte das Lenkrad fester.
Ein lauter Knall erschütterte das veraltete Auto der Geschwister. Sie wurden von der Straße geschleudert, rollten den Hang hinunter. Seine Hände ließen keinen Augenblick von dem Lenkrad ab.
Endlich kam das Auto zum Stillstand. Sein Kopf fiel nach hinten auf die Kopfstütze des Fahrersitzes. Seine Arme sanken erschlafft auf seinen Schoß. Die Räder des Autos drehten sich in der Luft. Die Nacht war schwärzer als zuvor.
Die digitalen Zahlen der Uhr im Auto sprangen auf null Uhr um.
Das Radio knarrte. Kurz konnte man die leisen Verse des Liedes verstehen, bevor auch diese letzten Töne von der Stille verschluckt wurden.
Selbst die Autobahn in weiter Ferne schien verstummt.
Das Mädchen auf dem Beifahrersitz schlief. Ihr Gesicht war entspannt im Gegensatz zu dem ihres Bruders. Ihres Bruders, der sein ganzes Leben lang nie stolzer auf sie war als heute.
Und die Melodie des letzten Liedes klang weiter in der schweren Stille.
Als wäre nie etwas passiert.
Als könnte sich die Welt nur an dieses letzte Lied erinnern.
When the minute and second hands overlap
The world holds its breath for a little while
Zero o'clock° ° °
-Joiy
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00:00 (Zero o'clock) | Shortstory
Teen FictionWenn die Uhr Mitternacht schlägt, ist es, als würde die Erde für einen Moment aufhören sich zu drehen. Als würde jeder in seinem Tun innehalten und die Welt gespannt die Luft anhalten. "Ich frage mich, was alles in diesem einen, winzigen Moment pass...