User: Colin
Schon als ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Die Art, wie sie den Gang entlang schlenderte, ihre Klamotten, ihre Haare ... alles ließ meine Alarmglocken schrillen.
Wer trug an seinem ersten Schultag mitten unter dem Jahr nagelneue Kleidung? Denn sie achtete im gleichen Moment darauf, nicht aufzufallen, und das war ein Widerspruch in sich.
Wir alle mussten durch dieses "Klasse, das ist eure neue Schülerin, stell dich doch kurz vor". Die meisten zogen es vor, am ersten Tag unentdeckt zu bleiben. Den Stempel von wegen "der/die Neue" hatte man automatisch auf der Stirn.
Wie auch immer, unsere Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann war er auch schon vorbei. Kurz überlegte ich, ihr nachzusehen, aber das wäre zu offensichtlich.
Ich ignorierte also weiterhin die Stimme von Jonas, der gerade von seinem letzten Wochenende erzählte. Party hier, Kotze dort, einfach nur öde. Ich schaute zu Matthew, der sein schauspielerisches Talent zum Besten gab und den Interessierten spielte. In Wirklichkeit war er nur mit Jonas befreundet, weil dessen Eltern den beiden "Jugendfreunden" ein Auslandsstudium versprochen hatten. Sollte die Freundschaft in die Brüche gehen, war es das mit Spanien. Oder Belgien, keine Ahnung. Ich war noch nicht lange genug bei der "Oberschicht" dabei, um alle Details zu kennen. Andererseits könnte ich jede noch so private Information herausfinden, mithilfe meines Laptops.
"Habt ihr die Neue gesehen?", fragte ich, als Jonas seine Erzählung beendet hatte.
"Es gibt ne Neue? Sieht sie heiß aus?" Matthew wackelte mit seinen Augenbrauen. Da hatte er zur Abwechslung wirklich Jonas zugehört und nicht die Girls im Flur abgecheckt? Unglaublich.
Wir setzten den Weg zur Klasse fort und wie immer herrschte das reinste Chaos, bevor der Lehrer eintraf.Ganz hinten, in der letzten Reihe, erkannte ich die Neue von vorhin und hatte kurz Zeit, sie genauer anzuschauen. Sie trug wirklich neue Klamotten, nur, dass die um ein paar Jahre aus dem Trend lagen. Hatte sie hinter dem Mond gelebt, oder was?
"Checkst du grade die Neue ab, Colemaster?" Matthew schlang einen Arm um meine Schulter und lächelte breit. Ich antwortete nichts und warf einen Blick auf den Schulrucksack, den sie auf dem Tisch stehen hatte. Dieser war, genauso wie ihre anderen Sachen, ohne jegliche Gebrauchsspuren. War sie zuvor in keine Schule gegangen?
Die Klingel unterbrach meine Inspektion und beendete gleichzeitig Matthews einseitige Umarmung.Ich ließ mich auf meinen Platz sinken und musste den Drang unterdrücken, mich umzudrehen. Auch wenn etwas nicht stimmte, so weckte sie mein Interesse. Irgendwie.
Wie vorhergesagt holte sie die Lehrerin nach vorne und ließ sie sich kurz vorstellen."Also, ich bin Linda Bresdon und ich bin seit knapp zwei Wochen hier in Wendelton. Ich spiele gern Videospiele und Basketball. Ich glaube, das war alles." Selbstsicher setzte sie sich wieder und ich konnte spüren, dass sie zufrieden lächelte.
Videospiele also? Vielleicht konnte ich herausfinden, auf welchen Servern sie sich herumtrieb und dann-Und dann was? Dann konnte ich sie auszuspionieren? Was würde das bringen, außer, dass ich meine Instinkte beruhigen würde?
Der Lehrstoff der Stunden prasselte auf mich herab wie Regen. Ich bekam alles nur tröpfchenweise mit. Als schließlich die Klingel läutete und alle zum Mittagessen aufbrachen, erhob ich mich und schloss mich Matthew an, der mit seinem Pickup Truck etwas bei TacoBell holen wollte. Ich verbrachte die Pausen nicht mehr einsam in irgendeiner Ecke und schrieb an Codes am Computer, nein. Ich hing nun mit den coolen Kids ab. Denn genau diese coolen Kids hatten eine Idee gehabt, die mein Leben verändern sollte. Naja, eigentlich hatte Matthew die Idee in die Runde geworfen und um meine Hilfe gebeten.
Mir war etwas Ähnliches im Kopf herumgeschwirrt, aber ich hatte nicht mit dem Gedanken gespielt, es wirklich umzusetzen. Matthew war sozusagen der Funken in der Streichholzschachtel gewesen.
Und nun war ich der erfolgreichste Jungunternehmer an der Schule und niemand wusste etwas davon. Was auch so bleiben konnte, denn ansonsten hatte ich ein Problem.
"NoPremium.to" war eine Website, auf der man sich Premiummitgliedschaften für Apps oder Streamingdienste günstig kaufen konnte. Für ein paar mickrige Bitcoins waren Spotify Premium und Co ein wahres Schnäppchen. Die Nachfrage war besonders bei Jugendlichen sehr hoch, da die so gut wie kein Geld auf der Seite hatten.
Matthew war der selbsternannte Geschäftsleiter, der nichts tat, außer seine Garage zur Verfügung zu stellen und hin und wieder unseren Kontostand zu überprüfen. Na gut, so war nun auch wieder nicht. Matthew hatte ein Händchen für Management und Organisation. Er hatte unsere Daten im Griff und klärte alles Geschäftliche. Wie ein CEO eben. Ich hingegen kümmerte mich um den technischen Kram und darum, dass uns keiner entdeckte.
Wie wir unser Geld verdienten? Auch unsere Angebote waren Abofallen, die auf einen längeren Zeitraum ausgelegt waren. Zuerst glaubte man, weniger auszugeben, aber im Endeffekt zogen wir mehr Geld aus den Taschen der Leute als die eigentliche Premium-Mitgliedschaft. Schade, dass dies erst in ein paar Jahren Gewinn bringen würde.
Naja, jedenfalls standen wir beide überzeugt hinter dieser Idee. Mit etwas Glück und Können waren wir in wenigen Jahren mehr als nur reich. Aber darum ging es mir nicht einmal so sehr. Irgendwie war es auch der Nervenkitzel und der Glaube, mir selbst etwas beweisen zu müssen.
Denn ich hatte immer geglaubt, ich wäre schlauer als die anderen. Ich ging davon aus, allen einen Schritt voraus zu sein, weshalb uns auch niemand auf die Schliche kommen würde. Und ich ging davon aus, dass Matthew wirklich mein Freund war.
Ich sollte mich in allen Punkten gewaltig irren.
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Between The Lines
Short StoryB3tweenTheL1nes.docx -passwortgeschützte Datei- User 1: Linda Password: ****** User 2: Colin Password: ******* Wo s0llte ich anf@ngen? Beim "Und3rground Bus1ness" welches sp3zielles W1ssen v0raus$etzte? Oder bei der unmögl1chen Missi0n? Es eskali3rt...