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User: Linda


„Das ist nicht sein Ernst, oder?"

„Becca, jetzt komm mal wieder runter-"

„Dieser verlogene, miese-"

„BECCA!"

Für einen kurzen Moment war es, als könnte man eine Stecknadel fallen hören. Stille füllte den gesamten Raum und alle schienen den Atem anzuhalten.

„Sorry, aber das ist doch lächerlich! Wieso hat er es mir nicht gesagt?" Genervt verschränkte Becca die Hände vor der Brust.

Die Einleitungsphase meines Plans hatte soeben gestartet. Nachdem meine Nase abgeheilt war, hatte ich zusammen mit dem Team einen Plan ausgearbeitet, um „legal" an Dateien von Colins Computer zu kommen. Ich könnte mich mit etwas Geduld durch seine Firewall hacken und würde garantiert Beweise dafür finden, dass er insgeheim der Betreiber der ominösen Website war. Jedoch brachten diese Beweise vor Gericht rein gar nichts. Wenn ich aber Colins „Erlaubnis" bekam, mich auf seinem Rechner umzusehen, sah die Sache ganz anders aus. Ich hätte sie „zufällig entdeckt" und damit hatte ich ihn festgenagelt.

Bis dahin musste mein fünf-Punkte-Plan funktionieren. Punkt eins: Becca die Wahrheit sagen. Das war eher ein halber Punkt, aber er gehörte nun einmal dazu.

„Jetzt weißt du es wenigstens. Er ist ein Arsch und ein Feigling, na und? Was Anderes war nicht zu erwarten." Toby drehte sich auf seinem Bürostuhl. Wir befanden uns im Keller der Schule, im Computer Raum. Dort durften sich alle Informatik-Nerds und AGs austoben, sofern sie sich eine Woche zuvor anmeldeten. Auch das hatte ich bereits organisiert und so konnte ich zum zweiten Punkt übergehen: der vermeintlichen Rache.

„Weißt du, Becca, ich hätte da so eine Idee, wie du es Colin heimzahlen könntest", fing ich an und sofort wurden alle im Raum hellhörig. Kurz nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich den Vorwurf, dass ich zu viel Zeit mit Colin verbrachte. Ich machte mich daran, das Vertrauen meiner Gruppe wiederherzustellen und erklärte, dass Colin ständig mit mir sprach anstatt umgekehrt. Irgendetwas an mir schien ihn neugierig zu machen. Ich hoffte nur, dass er keinen Verdacht schöpfte.

Kurz schilderte ich ihnen den Inhalt meines zweiten Punktes und erklärte grob, was Sache war. Ich würde Colin zu einem Duell überreden, in einem dieser Online-Spiele. Offiziell wäre es ein zwei-gegen-zwei Spieler Match, inoffiziell hatte ich drei weitere Spieler im Gepäck. Colin würde es nicht merken, wenn sich alle unauffällig verhielten und „rein zufällig" gegen ihn agierten. So gingen meine Chancen gegen Null, das Duell zu verlieren. Der Preis: der Verlierer musste seine Firewall für zehn Minuten ausschalten. Mir würde genug Zeit bleiben, um seine Dateien zu durchforsten und Becca konnte ihren Rachedurst stillen.

Natürlich waren alle begeistert von dieser Idee und knapp eine Stunde später startete Punkt drei: the Game.

Via Headset unterhielt ich mich mit Colin, der gut gelaunt und siegessicher gestimmt war. Innerlich war mir danach, laut loszulachen, doch ich hielt mich zurück.

Wir spielten insgesamt vier Runden, nach denen kein eindeutiger Sieger auszumachen war. Colin schlug sich besser, als ich gedacht hatte. Das letzte Spiel würde er jedoch nicht gewinnen, das konnte ich ihm versprechen.

„Das wird spannend. Was ich wohl auf deinem Rechner finden werde ...", fantasierte er herum und ich erwiderte: „Bei dir vermutlich illegale Pornos, die solltest du vorher auf einer Festplatte sichern."

Ein lautes Lachen ertönte am anderen Ende der Leitung. „So denkst du von mir? Das kränkt mein Ego", ließ er mich wissen und ich hörte dumpf, wie Toby und Miles sich ein Lachen verkneifen mussten.

„Also gut, bist du bereit?"

„Sogar mehr als das."

Die letzten Runde begann und ich erwischte mich dabei, wie ich alles um mich herum ausblendete und einfach das Spiel genoss. Seit Ewigkeiten hatte ich mich nicht mehr so frei gefühlt. Langsam gewöhnte ich mich an das junge Umfeld und alle Vorzüge eines Teenagers. Im Moment war ich nicht Linda, die Polizistin, sondern Linda, das kleine Mädchen, das mit ihren Freunden Videospiele spielte.

Mein positives Gefühl hielt mich jedoch nicht davon ab, mich weiter zu konzentrieren und am Ende musste Colin bedauernd feststellen, dass ich dieses Spiel für mich entschieden hatte. Für ihn wirkte es, als hätte er Pech gehabt, doch in Wirklichkeit waren meine Freunde eine große Hilfe gewesen.

„Gut gespielt. In exakt drei Minuten hast du volles Recht. Die Stoppuhr tickt dann, also glaub ja nicht, dass du eine Sekunde länger auf meinem Computer herumstöbern darfst."

„Kein Problem, ich kann die Uhr lesen", versicherte ich Colin grinsend und verabschiedete mich. Dann brachen wir in Jubel aus und eine Gruppenumarmung war unvermeidbar.

„Bereit für etwas Rache?"

„Bereit, wenn du es bist", sprach Becca, checkte ihre Uhr und haute dann in die Tasten. Weniger als eine Minute brauchten wir, um in Colins System einzudringen, dann standen uns alle Türen offen. Während ich unauffällig Dateien kopierte, standen Toby und Miles hinter Becca und klebten mit ihren Augen geradezu am Desktop.

Die ganzen zehn Minuten über herrschte vollkommene Stille. Jeder war so vertieft in seine Arbeit, dass ich glaubte, die Zeit würde nicht mehr weiterlaufen. Das Piepen meines Handys riss mich aus der Trance: Colin teilte mir mit, dass er in 30 Sekunden alle Sicherheitssysteme wieder hochfahren würde. Ich klinkte mich also aus und starrte einen Moment auf den Bildschirm. Mein USB-Stick war voller Dateien, die Beweise beinhalteten. Abrechnungen, Benutzerdaten, Konten, ... NoPremium.to lag vor mir. Ich vermutete es zumindest. Diese zweifelnde Stimme in meinem Kopf ließ mich wissen, dass eine geringe prozentige Chance bestand, dass Colin wirklich ein normales StartUp führte.

Auch die anderen hatten bemerkt, dass die Zeit um war, also entfernte ich den Stick und gesellte mich zu ihnen.

„Was Brauchbares gefunden?"

Ich erhielt keine Antwort und wusste im nächsten Moment auch, wieso: alle starrten gebannt auf den Bildschirm, auf dem das Bild einer Webcam zu sehen war. Colins Webcam. Irgendwie hatte Becca es geschafft, das Signal weiter aufrecht zu erhalten und nun konnte sie live mitverfolgen, was Colin so trieb.

Mich wunderte es, dass er seine Webcam nicht abgeklebt hatte, bis mir auffiel, dass er redete. Offenbar befand er sich mitten in einem Videochat. Als hätte Becca meine Gedanken gelesen, stellte sie die Lautstärke höher und alle hörten aufmerksam zu.

Ich sah schweigend zu, wie Colin mit seinem Geschäftspartner diskutierte und unterdrückte ein triumphierendes Grinsen, als Becca auf „Aufnahme" beim Screen Recorder drückte.

Between The LinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt