8: reb00t_t1me

10 0 0
                                    

User: Colin


Dafür, dass ich gleich meine Zukunft hinwerfen würde, blieb ich erstaunlich ruhig. Mein Adrenalinspiegel war noch hoch, nachdem Linda mich im Duell besiegt hatte. In den Wochen nach ihrem Unfall hatte ich öfter mit ihr Zeit verbracht, auch wenn Becca das nicht gutheißen konnte. Mir war jedoch aufgefallen, dass ich es genoss, mit Linda über Computer und Co zu diskutieren, ohne jede Anspannung. Dieses nagende Gefühl in meinem Inneren, das mich versuchte zu warnen, ignorierte ich weiterhin. Auch wenn Linda anfangs komisch auf mich wirkte, sie war ganz in Ordnung.

Als sie mit ihrem Deal ankam und ein Duell vorschlug, war ich zuerst verwirrt und warf ihr vor, zu neugierig zu sein. Wieso fragte sie nicht einfach, ob sie an meinen Laptop durfte? Andererseits könnte ich, wenn ich gewinnen würde, an ihre Dateien gelangen und diese würden meine innere Stimme besänftigen. Ich willigte also ein und rechnete mit vielen, nur nicht mit meinem Verlust. Linda hatte sich gut geschlagen, aber das Glück war nun einmal auf ihrer Seite gewesen. All die Hinweise auf die Website hatte ich sicher abgespeichert, denn um sie vollkommen zu beseitigen war keine Zeit gewesen. Insgeheim wünschte ich mir irgendwie, dass Linda zufällig darauf stoßen würde. Dann würde dieses drückende Gefühl in meiner Brust ein für alle Mal verschwinden.

Ich hatte meine Ansicht von Grund auf geändert aber ich bezweifelte, dass Matthew das nur ansatzweise verstehen würde. Kurz bevor ich den Anruf startete, führte ich einen Sicherheitscheck auf dem Laptop durch, um sicherzugehen, dass Linda sich ausgeklinkt hatte. Dann öffnete ich den Videoanruf und entfernte den Sichtschutz, der sich auf meiner Webcam befand.

Kurze Zeit später füllte Matthews Gesicht den Bildschirm. Ich erkannte die Umrisse der Garage im Hintergrund, also hatte er vorhin gearbeitet.

„Und, was gibt's? Wieso rufst du ein Meeting zusammen, Colin? Willst du mich etwa verlassen?", scherzte er und ich musste schlucken. War ich so durchschaubar?

„Ehrlich gesagt-"

„Sorry, aber nur ganz kurz: ich hatte vorhin eine Idee für eine neue Strategie. Die können wir gleich besprechen, denn die ist der Hammer! Damit könnten wir-"

„NEIN!", schrie ich dazwischen und ließ Matthew verstummen. Er starrte mich perplex an und verschränkte in Zeitlupe die Arme vor der Brust. In Momenten wie diesen war ich froh, vor einem Computer zu sitzen. Ansonsten hätte Matthew mich vermutlich angesprungen.

„Ganz ruhig, Tiger. Nicht gleich ausrasten."

„Lässt du mich ausreden?" Nun verschränkte ich ebenfalls die Hände und wartete, bis Matthew nickte.

Ich atmete tief durch, spähte kurz zu meinen Notizen, die ich auf dem Schreibtisch liegen hatte, und fing an: „Also, ich habe nachgedacht und bin zu einem Entschluss gekommen. Das ganze ... bringt doch nichts. Rein realistisch gesehen. Wir haben kaum Einnahmen, beziehungsweise erst in ein paar Jahren, wir investieren im Gegensatz dazu etliche Stunden unserer Zeit und erreichen damit kaum etwas Gutes. Außerdem, wenn wir jetzt aussteigen, ist der Schaden ziemlich gering. Abgesehen von ein paar Verstößen gegen Hacking und Identitätsdiebstahl ist noch nicht viel zusammengekommen. Unsere Verträge greifen erst in geraumer Zeit und bis dahin nehmen wir kein Geld ein. Also keine Steuerhinterziehung oder sonst irgendwas. Wir sollten aufhören, Matthew. Das wäre das Beste." Ich beendete meine Aufzählung und war erstaunt, dass mich Matthew kein einziges Mal unterbrochen hatte.

Einige Sekunden sagte er kein Wort, dann lehnte er sich näher an den Bildschirm heran und meinte: „Bist du komplett übergeschnappt?" Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter.

„Also, ich-"

„Wer hat dir ins Gehirn geschissen, du kleiner Penner, hm?"

„Was, das-"

„Liegt es an deiner neuen Puppe, mit der du ständig redest?"

„Linda hat-"

„Oder liegt es an Anna?"

Damit hatte ich nicht gerechnet. Matthew wusste davon?

„Es liegt nicht-"

„Ich weiß, dass du auf meine Freundin stehst, Colin!" Mit diesen Worten verpasste er mir einen verbalen Schlag in den Magen. Ich konnte förmlich hören, wie unsere Freundschaft in tausend Scherben zerbrach. Wie ein Glas, das auf Steinboden aufprallte und zersplitterte.

„Hör mal, Matthew, es tut mir leid. Vielleicht wirkt es so, als hätte ich mich an Anna ranmachen wollen, aber so ist das nicht. Sie ist deine Freundin und um nichts in der Welt würde ich das ändern wollen. Wirklich." Das letzte Wort war nur noch ein Flüstern.

„Du bist das Letzte, Colin. Ich dachte wirklich, wir wären Freunde. Ich dachte, wir könnten das gemeinsam durchziehen. Aber jetzt? Alles was du willst, ist, deine Eifersucht an mir auszulassen. Frag doch Linda, ob sie dir bei deinem eigenen StartUp hilft, du bist nämlich gefeuert!"

Gefeuert?

„Du kannst mich nicht aus unserer Firma werfen!"

„Oh doch, und wie ich dich aus meiner Firma werfen kann, du Idiot! Denn anders als du werde ich nicht einfach aufgeben. Außerdem war das alles hier meine Idee, kapiert? NoPremium.to bleibt bestehend!"

Bevor ich etwas antworten konnte, hatte Matthew das Telefonat beendet. Na toll, jetzt hasste er mich und kannte mein größtes Geheimnis. Dazu kam, dass er eine Website mit meinem Code weiterverwenden wollte. Ich hatte mir gedacht, dass Matthew nicht einverstanden sein würde, wenn ich unser Projekt abbrechen wollte, aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Andererseits ... wenn er die Seite alleine führen wollte, dann sollte er doch. Mein Problem war es nicht mehr. In meiner Trotzphase ging ich zumindest davon aus. Ob meine nächste Handlung ebenfalls meinem emotionalen Zustand zuzuschreiben war, blieb dahingestellt.

Ich suchte mein Handy, scrollte zu Lindas Nummer und tippte eine Nachricht. Nächste Woche fand der Schulball statt und ich wollte nicht ohne Begleitung auftauchen. Und sollte ich dabei zufällig auf Matthew treffen, könnte er mein hämisches Grinsen begutachten. Dieses Grinsen würde er sehen, wenn ich mit Linda über die Tanzfläche rockte und zu wilden Techno Beats tanzte. Ich versendete meine Einladung an Linda und warf mich aufs Bett.

Gefeuert zu werden hatte mit weniger Hitze zu tun, als ich gedacht hatte.

Between The LinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt