Seine kaiserliche Majestät

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Konstantin stapfte durch Nebel. Jeder Schritt versank in diesem qualmenden Nichts, dieser undurchdringlichen Decke, die in seine Lungen drang wie Senfgas, ihn ertrinken ließ in Wasser, das sich in seinen eigenen Lungen sammelte. Aber diese Masse um ihn herum war farblos. Nicht von einem knallenden grüngelb, das schon auf dutzenden Metern warnend seine Toxizität verkündete.

Diesmal waren es auch keine Flugzeuge, die sich aus der Wand aus hellem weiß schälten. Auch nicht die vertrauten Gestalten von Adalbert und Amos, die mit ihm immer und immer wieder durch die Hölle gegangen waren, doch immer den Fängen des Todes entkamen.

Nein, als der Nebel zerfaserte schoben sich mit jedem röchelnden Atemzug die prunkvollen Möbel eines Saals mit meterhohem Gewölbe in sein Sichtfeld. Gigantische Fenster mit Streben aus reinstem Gold, verziert von aufwändigen Ornamenten an Wänden und Decken, schmückten den Saal in dieser frostige Welt, auf den sie einen Blick auf die schier endlosen Ausläufe einer Stadt in eisigster Zeit offenbarten.

Dicke Schneeflocken rieselten durch den mattgrauen Himmel und malten helle Punkte in die triste Welt, denn selbst der Fluss hinter all den unzähligen barocken Zinnen und Balustraden war ein farbloses graues Gebräu. Allein eine Kuppel schimmerte im dichten Wolkenmeer und wirbelnden Flocken wie ein Gebilde aus edelstem Diamant. Der Elsässer konnte nur den Ansatz des funkelndem Glases erkennen, aber das reichte. Er wusste, wo er war. Und wann.

Das hier war kein gewöhnlicher Fluss, der träge durch die Kanäle der Stadt und um den Prunkbau floss, das hier war die Spree. Er war im Berliner Schloss, direkt im Herzen der Spreeinsel. Es war die Winterresidenz der Hohenzollern und seiner kaiserlichen Majestät Wilhelm dem zweiten.

Und genau dieser saß an der Tafel, an die sich auch Konstantin gesetzt hatte.

Konsterniert schnappte er nach Luft, doch sein Brustkorb schien zerdrückt zu werden. Zerquetscht unter dem feldgrauen Stoff der Offizierskluft, an der wenige rote Verzierungen schimmerten. Sie spannte an seinen Schulter, wirkte wie ein Fremdkörper an ihm und zeigte nur umso mehr, welch drückende Last sie auf die schmalen Schultern des Degen-Fähnrichs mit dem rabenschwarzem Haar, das er doch nun so militärisch streng mit Zuckerwasser zurückgekämmt hatte. Natürlich, dies hatte er schon lange vor dem bestehen der finalen Offiziersprüfung getan, aber zusammen mit dem fremden Gewicht des Degens an seiner Seite zog ihn all dies regelrecht zu dem schimmernden Boden unter seinen Stiefel.

In der Anwesenheit des Monarchen fiel ihm selbst das atmen schwer. Und trotzdem schaffte er es, keine Miene zu verziehen. Sein Gesicht war neutral, regelrecht ausdruckslos und kaum mehr als eine Maske, die mehr und mehr mit ihm verwuchs. Dies zu meistern hatte er als Firmenerbe und halber Elsässer inmitten der hohen Gesellschaft aus Aristokraten und Beamten schon lange gemeistert, dabei tobte in seinem Brustkorb ein Sturm aus Gedanken und Emotionen.

Doch trotz all dem - oder gerade deshalb - hatte Konstantin es kaum geschafft, wenige Gabeln der Spezialität aus den Kolonien; Hummer, garniert mit exotischen Früchten wie Papaya oder Bananen, herunterzuschlucken.

Auguste schloss sich seiner stummen Abstinenz an. Aber nicht aus Solidarität oder wegen einem ebenfalls betrübten Gemüt, sondern aus starker Ablehnung gegen alles, was aus den Kolonien kam. Schon Friedrich den großen habe die Sklaverei angewidert, hatte sie noch am gestrigen Abend auf dem Residenzschloss ihrer Familie im flackernden Kaminlicht des roten Salons voller unterdrücktem Zorn verkündet, kurz nachdem Konstantin und sein Vater dort im heftigsten Blizzard angekommen waren, nur um im ersten Gold des nächsten Morgengrauen sich durch das schnell zuziehende Wetter nach Berlin zu kämpfen.

Eigentlich hätten sie jetzt essen sollen wie niemals zuvor, denn wenn der Kaiser die Ehre erwies und zu Tisch lud, gebot es nicht nur der Anstand, sondern auch, dass die Speise abgetragen wurden, wenn seine kaiserliche Majestät sein Essen beendet hatte. Und Wilhelm der zweite war ein bekannter Schnellesser. Trotz Plexuslähmung und somit dem regelrechten Tod seiner Nerven im linken Arm, schaufelte der Monarch wie kein anderer die Nahrung in sich hinein. Die Gemahlin des Kronprinzen und Großadmirals Heinrich hatte schon empfohlen, sich vor dem eigentlichen Bankett Zuhause satt zu essen, sonst verließ man Berlin mit leerem Magen.

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