Monchy-le-Preux

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Hatten sie vor Stunden noch den Graben des Krieges und Hasses überwunden, so mussten sie ihn jetzt wieder errichten. Entweder sie leugneten, was zwischen dem Zerschmettern der Jagdflugzeuge und dem Aufkreuzen Abinashs geschehen war, oder mindestens William würde wegen Fraternisierung, eventuell sogar Hochverrat, vor das Kriegsgericht gezerrt werden und an Orte wandern, die weitaus schlimmer als das drohende Schicksal des Elsässers von quälend langen Monaten in einem Kriegsgefangenenlager waren. Und Konstantin musste diesen Prozess verhindern, sei es das auch mit seinen letzten verbleibenden Mitteln, die ihm nur spärlich in den Händen lagen. Aber er musste die Kälte und Ausdruckslosigkeit wieder einsetzen, anstatt diesem wilden Pochen in seinem Brustkorb, das nicht nur sein Herz, sondern auch seinen Verstand ins Stocken brachte. Immerhin hatte er diese mögliche Anklage verschuldet – da musste er sie auch wieder zu Asche zermalmen oder gleich aus den Akten brennen.

Also hatte er die Hände erhoben, gab sich seinem Schicksal hin und humpelte über die Trümmer einer von Schmauch und Ruß bedeckten  Ruinenlandschaft und fixierte seine Stiefelspitzen aus zusammengekniffenen Augen. Egal, wie sehr brütende Hitze und frostige Kälte in seinem Körper sein Sichtfeld zum Flimmern brachte, doch selbst zwischen dem stechenden Schmerz und fiebriger Trance erkannte er das erschreckende Desaster um ihn herum.

Der Leutnant konnte nur dafür beten, dass die Zivilisten hatten fliehen können. An diesem Ort waren nämlich die Haager Landkriegsordnung gemeinsam mit dem Gestein in Glut aufgegangen.

Monchy-le- Preux war eine einzige Ruine, die unablässig Rauch zu weinen schien. Das einzige, was noch an die Gerippe der Gebäude erinnerte, waren verkohlte Trümmer die wie abgebrochene Zähne  krumm aus der Erde ragten. Während er mit geschürzten Lippen hinter Abinash herstolperte, der den ächzenden William stützte, da bebte der Boden unter dem Donnern der Artillerie und das Mündungsfeuer ließ gleißende Schemen über die Rußlandschaft blitzen, während Soldaten mit Kisten voller Munition an dem ungleichen Trio vorbeihechteten, damit die Feuersbrunst der Artillerie Batterie dieses Colonel niemals verstummte.

Man sah die Vernichtung, das Leid und den Tod - nur, um ihn weiter zu verbreiten wie eine eifrige Schar an Todesengel, getrieben von Hass, der nicht nur Seelen, sondern ganze Länder verzehrte. Alles nur wegen einem ermordeten Erzherzog und einem schicksalshaften Tag in Sarajevo.

Ihre Schritte stoppten schlagartig vor den ausgebrannten Ruinen eines Hauses, die jedoch noch sachte die Grundmauern des Gebäudes erahnen ließen. Einige Wände, ja ganze Räume schienen den Krallen dieses Wahnsinns getrotzt zu haben. Und über dem verglühten Loch in der Wand, in dem einmal wohl die Tür an ihren Angeln gehangen hatte, spannte sich nur ein von Ruß geschwärztes Laken. Darüber war ein Schild angebracht, auf das man mit Kohle große Buchstaben geschmiert hatte.

Battery command post.

Die wenigen Sekundenbruchteile vor der Entscheidung seiner Zukunft rang sich Konstantin den letzten Hauch der Contenance ab. Einen kühlen Kopf in der Feuersbrunst des Fiebers bewahren, die Schultern straffen und eine Miene aufsetzen, die selbst die Munition der Haubitzen und Granatwerfer erstarren lassen könnte. Aber wenn er ehrlich war, dann war all dies nur die klägliche Verteidigung eines jungen Mannes, der Angst hatte. Angst um ein Leben und die Liebe, die viel zu kurz gewesen waren, um nach kaum mehr als zwanzig Jahren schon zu enden.

Im nächsten Moment erfasste ihn ein dumpfer Schlag eines Gewehrschafts  in den Rücken und von Schmerz getrieben taumelte er hinter dem Inder in die Ruine. Sofort schlug ihm der herbe Gestank nach Alkohol und verbrannter Kohle entgegen. Flocken aus Asche schienen sich an auf die Zunge des Leutnants zu legen.

Als das Pochen der Stiefelsohlen den Raum erfüllte, da zuckte das Augenpaar eines Offiziers von dem Meer aus Taktikkarten, die den ganzen Tisch unter sich begruben, in die Höhe und – nein, korrigierte er sich selbst, kein Augenpaar, allein ein Auge mit einer Iris aus einem schmutzigen Graugrün. Das andere war weiß, erbleicht, vollkommen leblos und erblindet. Allein graue Schlieren zogen durch den milchigen Ton. Diese helle Schattierungen und eine Narbe, die die ganze linke Seite seines Gesichts spaltete, als hätte ein Bajonett auf seinem ganzen Antlitz gewütet, zerteilten die stickige Luft.

Vom Himmel hochWo Geschichten leben. Entdecke jetzt