Schon nach wenigen Schritten durch die seelenlosen Schützengräben verwandelte sich Konstantin Atem in ein angestrengtes Keuchen. Seine Beine strauchelten mit jedem Schritt mehr, jeder Meter glich einem Martyrium und nach kaum mehr als einer Ecke wäre er wohl kaum mehr in der Lage, ohne Williams stummes Stützen auf seinen wankenden Beinen zu stehen.
Dieser kämpfte sich einfach nur wortlos durch die beißende Kälte, während das scharlachrote Glimmen der Sonne hinter einer Wand aus Rauch und Schießpulver verschwand. Und mit jedem weiteren Zentimeter schwoll das Dröhnen bei Bullecourt an und schmale Schwaden aus nachtschwarzem Dunst verschluckten weiteres Licht am Horizont.
Der frühe Abend hatte jedoch Schnee gebracht.
Eine zarte Schicht aus Frost und weichen Eiskristallen tauchten die Welt in einen unschuldigen Glanz, der die Leichen im Niemandsland in weißen Decken verbarg und doch den Weg vor ihnen in einen höllischen Spießrutenlauf verwandelte.
Die Welt lag verlassen und erstarrt da, während wenige Fuß von ihnen entfernt das Massensterben kein Ende nehmen wollte und er schlitterte hilflos über Eis, den Körper eines im Fieber verglühenden an seiner Seite.
„Das ist wirklich beschissenes Wetter. Gerade im April! Da denkt man, es wird langsam warm und man verwandelt sich in einen Schneemann!", murrte er daraufhin patzig vor sich her, dabei war es noch lange nicht das Wetter, dass ihn in das gähnende Loch der Sorgen riss.
Es war die Schlacht, die um sie tobte, die so an ihm zerrte. Konstantins Zustand, als er mit jedem Moment weiter dem Bewusstsein zu entgleiten schien und schlussendlich auch die Angst um sein eigenes Leben und seine Zukunft. Ein Bruder war bereist gestorben. Aber wenn der Tod sie nicht ereilte, dann wieder das Leben in der schmierigsten aller Gossen. Die Armee war die einzige Hoffnung, die ihm blieb, dabei verachtete er dieses Grauen, das sich immer weiter in die Erde und Seelen fraß.
Aber er versuchte krampfhaft diese Angst zu verdrängen. Und das krächzende Sprechend des Leutnants bot ihm Abhilfe.
„Gerade im April ist das ein gewöhnliches Wetterphänomen", korrigierte er ihn daraufhin scharf. Zumindest würde William es so bezeichnen, denn mit jeder weiteren Silbe verklang Konstantins kratzende Stimme mehr und mehr zu einem rauen Wispern. Vollkommen kraftlos und ausgelaugt, wie seine taumelnden Schritte. „Wir sind hier im Norden Frankreichs. Nicht bei Marseille oder Gibraltar."
Ein Seufzen entwich den Lippen des Sergeant und er öffnete seinen Mund, die spöttischen Worte lagen im regelrecht auf der Zunge und im Geist, doch der Elsässer kam ihm zuvor.
„Aber du hast Recht. Es ist wirklich schlecht."Für einen Moment geriet alles in ihm ins Stocken. Er hätte schwören können, dass sich Konstantins schmale Gestalt sich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde unmerklich näher an ihn geschmiegt hatte. Er meinte sogar, den Herzschlag des anderen in seinen Knochen vibrieren zu spüren. Aber innerhalb eines Wimpernschlags verschwand dieser Eindruck, der sein Herz ins Stolpern brachte.
Stattdessen spannte sich der Mann unter seinem Griff an. Er erstarrte regelrecht zu einem Pfahl aus Eis.
Erst dann bemerkte er den starren Blick des Anderen, der fassungslos von einem Punkt in der Ferne gebändigt wurde.
Nein, es waren kaum mehr als wenige Schritt. Und doch verwandelte Niemandsland und Stacheldraht einstellige Meter zu einem Spießrutenlauf und Tanz mit dem Tode. Dabei war das ausgebrannte Wrack schon ein Sinnbild eben jenes, was alles nur zu einer unwirklichen Karikatur einer Realität werden ließ, die die Welt niemals hätte sehen sollen.
Es war ein weiteres Opfer des sinnlosen Sterbens. Kaum mehr als ein verkohlter Haufen Metall, in dem noch schwache Funken glommen, die den Frost in ein schillerndes Farbenmeer tauchten.
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Vom Himmel hoch
Historische RomaneAuch Helden fallen. Und je höher man fliegt, desto zerstörerischer ist der Absturz. ~ Der Frühling 1917 geht als der blutiger April in die Geschichte ein, doch er ist nur ein Abschnitt in den sinnlosen Kämpfen des ersten Weltkriegs. Egal, ob in den...