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Dieses hier war nicht die Spreeinsel, hier war nicht die drohende Zukunft sein größtes Problem. Denn jetzt wurde entschieden, ob es für ihn überhaupt noch so etwas wie eine Zukunft gab.

Der Leutnant handelte reflexartig.

Mit einer raschen Geste seiner Hände fegte er Feind von seinen Schultern. Schmerz raste durch jeden seiner Glieder, als wütete in seinem gesamten Körper ein lodernder Brand. Aber das Adrenalin erstickte die Pein und jegliche Gedankengänge mit einem Sturzbach aus eisiger Panik.

Für einen Moment blitzte Überraschung über das Gesicht des Briten, dann schwang sich Konstantin in eine sitzende Position. Er wollte nach dem Feind greifen, ihn zu Boden ringen und jegliche Gefahr einer Schusswaffe in seinen Händen zuvorkommen, doch der Klammergriff des anderen zerriss seine Pläne in der stickigen Luft.

Im folgenden Gerangel verlor er sofort den Überblick.

Ihre Armee verknoteten sich regelrecht, versuchten den Anderen zu packen, nur um sofort wieder entwendet zu werden.

Mit jedem Atemzug, mit jedem weiteren Feuer, das sich durch seine Haut ätzte, schlug die Furcht in ihm höher, wie die Flammensäulen der Artilleriegeschosse.

Schlagartig stürzte er sich nach vorne.

In einem scheppernden Knäuel trafen sie auf dem Boden, dumpfer Schmerz schoss durch Konstantins Körper und presste alle Luft aus seiner Lunge.

Für einen Moment war er wie gelähmt. Taubheit ergriff seine Glieder, allein dieser fressende Schmerz blieb, der sich immer weiter durch ihn bohrte und seine Gedanken regelrecht in die Abgründe des Wahnsinns trieb.

Das alles ließ ihn einen Moment zu lange zögern.

Die kräftigere Gestalt des Anderen fegte ihn von den Füßen und nagelte ihn an den Boden. Holz knackste unter ihm. Dielen stöhnten und ein entsetztes Keuchen flog über seine Lippen.

Eine Klinge zischte durch die Luft. Matt funkelnd im Staub, rasend schnell auf ihn zukommend, genau wie es sein Ende tat.

In diesem Moment schloss Konstantin mit seinem Leben ab. Er sein finales Schicksal schon fahl glimmend auf sich zurasen. Es gab keine Zeit zu bereuen, zu schreien oder zu weinen- und dann stoppte das Messer.

Zitternd kam der schlanke Stahl über seiner Stirn zum stehen.

Konstantins Kopf verwandelte sich in eine ausgestorbene Einöde.

Dann verstrich ein wild polternder Herzschlag.

Dann noch einer.

Und das Messer des Briten rührte sich nicht vom Fleck.

Erst langsam drang seine Vernunft durch den Schleier der Panik, gemeinsam mit den Worten einer Stimme, die doch mit jeder Silbe wieder so viel vertrauter wirkte.

„Also wirklich, ich kann ja voll und ganz verstehen, dass man nicht aufgeweckt werden möchte, aber das hier? Ernsthaft?", echauffierte sich William lautstark und gestikulierte wild in der stickigen Luft. Dabei zischte die kleine Waffe in seinen Händen funkelnd durch die Luft, eine Sternschnuppe in diesem Zwielicht, wo Helligkeit nur durch Ritzen, die vor wenigen Stunden noch ihren Tod bedeutet hatten.

Wenigen Stunden...

Mit jeder verstreichenden Sekunde kämpfte sich die Erkenntnis durch diese Furcht und diese unerträgliche Hitze in ihm.

„William?" Konstantins krächzende Stimme war nur noch eine erstickte Frage. „Es- was auch immer.. Ich- Es tut mir Leid", murmelte er mit gesenktem Blick. In diesem Zustand konnte er sich nicht um seine Contenance und Würde kümmern. Er musste erst mit sich selbst ins Reine Kommen.

Vom Himmel hochWo Geschichten leben. Entdecke jetzt