3. Kapitel Josy

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Unruhig trabe ich neben Five her. Wie vorher abgesprochen, bewegen wir uns langsam in Richtung Treffpunkt. Wie konnte das alles nur so schief gehen? , wirbelt es mir durch den Kopf. Ich sollte schießen, aber konnte nicht. Immer weiter habe ich versucht, die Zeit herauszuzögern. Ich habe Five neben mir gespürt, wie er unruhig wurde. Und dann riss mich auf einmal brutal ein Gewicht von der Seite zu Boden. Mir schmerzt immer noch mein rechter Hüftknochen. Wahrscheinlich wird das bis morgen ein schwarzer blauer Fleck werden. Aber das ist jetzt egal. Five hat Jasper Winter erschossen. Und jetzt joggt er lässig neben mir und wirkt, als wäre nichts Nennenswertes vorgefallen. Das macht mich verrückt und schockiert mich. Wie kalt ihn das lässt.

Meine Hände sind noch immer feucht und zittern. Aber nicht von der eisigen Kälte, die immer weiter in meine Glieder zu kriechen scheint wie ein Parasit, der den Wirt klammheimlich und tödlich einnimmt.

„Nähern uns Treffpunkt, Ankunft in zwei Minuten", informiert Five die Person am anderen Ende seines Mikros. Unsere Schritte hallen an den hohen Betonmauern wieder, aber es scheint um diese Uhrzeit kaum noch einer draußen zu sein. Vor allem nicht in dieser Gegend.
Ich spüre Fives Blick, der auf mir ruht. „Es musste so kommen, Four. Einer musste es tun. Es tut mir leid. Aber jetzt beruhige dich. Ich brauch dich noch". Ich stoße einen leisen, hysterischen Lacher aus. „Five, du hast getötet. Wir haben uns etwas geschworen. Weißt du noch?", erwidere ich ungläubig. „Wir töten nicht!"Mit jedem Wort ist meine Stimme etwas lauter geworden. Zum Schluss schreie ich fast. Five blickt wieder stumm nach vorne. „Einer musste es tun, und das weißt du.", wispert er mit belegter Stimme. Nimmt ihn das ganze vielleicht doch mehr mit, als es seine Körperhaltung und sein Gesichtsausdruck versprechen?

Nach einer weiteren Abzweigung kann ich den schwarzen Mustang mit den abgetönten Fenstern endlich erkennen. SIE warten auf uns. Wie immer.

Auch Five scheint den Wagen bereits entdeckt zu haben, denn er beschleunigt nochmals seine Geschwindigkeit. Ich folge ihm. Jetzt wurden auch wir entdeckt und eine der hinteren Türen des Mustangs öffnet sich wie von Geisterhand.

Als wir nur noch einige Meter von dem Wagen entfernt sind, bemerke ich eine große Gestalt, die aus einer sehr kleinen Seitengasse herausschießt. Nun bleibt er direkt vor uns auf der Straße stehen. Im Dunkeln erkenne ich sein Gesicht nicht, doch Five murmelt „Nicht der schon wieder."War das etwa derselbe Typ, der mich vorhin im Winter schon angegriffen hat? Ich habe sein Gesicht nicht sehen können und als Five ihn mit einem Tritt gegen den Kopf von mir runter bugsierte, war meine Aufmerksamkeit auf die Flucht gerichtet. Wahrscheinlich ist das nur so ein dämlicher Kunde, der mal wieder den Retter spielen will. Die Stadtmedaille der Kategorie Mut und Tapferkeit, überreicht vom Bürgermeister. HA. Nicht mit uns.

„Mach Platz du Lappen", an seiner Stimmlage höre ich, dass Five grinst. Ich kann ihn verstehen. Wir haben jetzt andere Probleme, als uns mit so einem halbstarken Möchtegern-Affen herumzuschlagen. Mit einer Kopfbewegung signalisiert Five mir, dass wir uns aufteilen. Er will links an dem Typen vorbeipreschen und ich soll rechts entlang. Mit einem kurzen Nicken signalisiere ich ihm, dass ich ihn verstanden habe.

„Warum!?", höre ich die Stimme des Mannes vor uns. Es war weniger eine Frage. Die Stimme wirkt bedrohlich aber vor allem sehr wütend. Energisch mache ich einen Satz nach rechts und will so an ihm vorbeizischen. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass ich verfolgt werde oder einer Gefahr ausweichen muss.
Doch in dem Moment, in dem ich an dem Kerl vorbeiziehen will, macht er unerwartet einen Satz nach rechts. Er greift nach meiner Schulter und bringt mich ins Straucheln. Ein Keuchen kann ich nicht zurückhalten. Plötzlich werde ich erneut an der Schulter zurückgestoßen und spüre, wie ich den Halt unter meinen Füßen verliere. Mit meinem Knie lande ich auf dem Schotter und ein kurzer stechender Schmerz fährt durch meinen Körper. Dabei fällt mir meine Sonnenbrille vom Gesicht und in den Dreck. Aber das ist jetzt egal. Es ist eh viel zu dunkel um irgendetwas erkennen zu können.
Sofort bin ich in Kampfbereitschaft. Ich wirbel herum und blicke in tiefschwarze Augen eines Mannes, der nicht viel älter sein kann, als ich selbst. Sein Gesicht ist vor Wut verzerrt und die Augen scheinen vor Hass zu sprühen. Noch gerade so kann ich mich unter seinem Faustschlag hinwegducken. Diesen Fehler seinerseits nutze ich aus. Ich greife nach seinem Arm und ziehe ihn energisch herunter. Denn obwohl ich so klein und zierlich bin, habe ich eine Menge Kraft und viele Stunden Training absolviert.
Gerade, als ich wieder auf die Füße springen will, wirft sich der Typ mit seinem ganzen Gewicht auf meine Beine und reißt mich wieder zu Boden. Reflexartig schlage ich dahin, wo ich sein Gesicht vermute und höre ein befriedigendes Aufstöhnen. Ich muss ihn an der Schläfe erwischt haben.

In diesem kurzen Moment der Ablenkung seinerseits werfe ich einen Blick auf die Straße. Das Auto ist weg. Sie sind ohne mich gefahren. Und auch Five ist nirgendwo mehr zu sehen. Er hat mich verlassen.
Ein bitterer Geschmack der Enttäuschung macht sich in mir breit und ich spüre einen Stich im Brustkorb. Diesen kurzen Moment der Schwäche nutzt mein Gegner aus. Er tritt mir mit voller Wucht in die Seite und ich lande dumpf der Länge nach auf dem Boden. Mir wird für einige Augenblicke schwarz vor Augen. Aber jetzt muss ich mich zusammenreißen. Ich habe schon so viele Kämpfe erlebt, so viele Taktiken mühsam erlernt, da müsste das hier für mich doch ein Einfaches sein. Ein Kampf gegen einen dahergelaufenen Schaulustigen. Gerne. Aber irgendwie scheint der hier anders zu sein.

Jede seiner Bewegungen sind kontrolliert und gut überlegt. Er ist ein guter Kämpfer. Noch mehr wundert es mich, dass ich ihn nicht kenne. Aber vermutlich kennt er mich auch nicht, denn sonst hätte er mich niemals angegriffen. Denn wer sich mit mir anlegt, legt sich auch mit IHM an. Und wer das macht, ist ein toter Mann.
Ich versuche trotz meiner drohenden Bewusstlosigkeit, in alle Richtungen um mich zu schlagen. Dann spüre ich etwas Weiches an meiner rechten Faust. Ich muss seinen Bauch getroffen haben. Der Treffer gibt mir einen neuen Adrenalinkick und ich spüre wie das Blut zurück in meinen Kopf strömt. Schnell richte ich meinen Oberkörper auf. Erst jetzt fällt mir auf, dass im Kampf meine Kapuze heruntergerutscht sein muss und meine goldenen Locken meinem Angreifer sicher aufgefallen sind. Verdammt.

Plötzlich höre ich ein immer lauter werdendes Motorengeräusch. Ein kleiner Funke Hoffnung wächst in mir, dass doch nicht alles verloren ist. Dass ich doch nicht alleine zurückgelassen wurde.
Doch im nächsten Moment trifft mich schon ein harter Schlag am Kinn. Meinem Angreifer entfährt ein Ächzen. Der Schlag war gezielt, aber ich zwinge mich zur Konzentration. Woher kommen die Motorengeräusche. Sie scheinen alle anderen Geräusche der Nacht zu verschlucken. Immer wieder ist ein aufheulen des Motors und ein Knattern zu vernehmen. Mit meinem Ellenbogen treffe ich ein letztes Mal meinen Angreifer und nutze diesen Moment seiner Verletzlichkeit. So schnell es mein schmerzender Körper erlaubt, komme ich wieder auf die Beine und versuche mich zu orientieren. Langsam hört die Erde auf, sich zu drehen. Ruhig bleiben. Atmen.

Plötzlich kracht ein schwarzes Motorrad aus der kleinen Nebengasse, aus der soeben auch mein Angreifer gestürzt ist. Das ist also die Ursache der lauten Motorengeräusche. Mit quietschenden Rädern kommt die protzige, schwarz glänzende Yamaha Maschine vor mir zum Stehen. „Los, spring auf!" Brüllt mir der Fahrer zu und versucht, die Lautstärke der Motoren mit seiner Stimme zu übertönen. Five trägt einen schwarzen Motorradhelm. Wüsste ich nicht, dass das seine Maschine ist und, dass er der Besitzer dieser tiefen Stimme ist, hätte selbst ich ihn nicht erkannt.

Ein Blick auf den Boden verrät mir, dass ich so schnell wie möglich Fives Ratschlag befolgen sollte. Mein Angreifer ist gerade dabei sich schnaubend aufzurappeln. Ich renne auf Five zu und schwinge voller Adrenalin mein Bein über die Yamaha. Kaum, dass ich sitze, tritt Five aufs Gas. Die Maschine macht einen Ruck und ich wäre fast wieder hinten runtergepurzelt. Schnell lehne ich mich an seinen Rücken und umgreife zitternd seinen warmen Körper mit meinen Armen, wie ein Ertrinkender eine Rettungsboje auf dem aufgewühlten Meer.
Hinter mir ertönen ein lauter Aufschrei und wilde Flüche. Mein Angreifer war nicht schnell genug. Ich habe es geschafft. Dank Five. Ich atme tief aus, spüre, wie mein Körper sich langsam entspannt und schließe die Augen. Das Adrenalin entweicht aus meinem Körper wie die Luft aus einem geplatzten Ballon. Zurück bleibt ein pochender Schmerz und eine bleierne Müdigkeit, die versucht, mein Bewusstsein in die Knie zu zwingen. Doch der Tag hat gerade erst begonnen.

Während wir uns immer weiter von dem Winter, der Gasse und dem unbekannten Angreifer entfernen, rasen wir in einer viel zu hohen Geschwindigkeit über den Broadway. Ich erwische mich mehr als einmal dabei, wie meine Gedanken abschweifen, hin zu dem Erlebten und dem großen, von Dunkelheit umgebenen Mann, während mir der eiskalte Fahrtwind ins Gesicht schlägt.

Remember the starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt