10. Kapitel Josy

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Glücklich schmiege ich mich in Fives Kissen und atme seinen einzigartigen Geruch ein. Erinnerungen an Wälder und ein Gefühl von Wohlbefinden breiten sich in mir aus und lassen mich leise aufseufzen. Das Pizzaessen war besser als gedacht. Zuerst fühlte ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, einem Fremden zu folgen, aber im Nachhinein eine meiner besten Entscheidungen.

„Erzähl mir etwas über dich." Sein Lächeln umhüllt mich und doch stellen sich meine Nackenhaare auf. „Hast du Geschwister? Wo wohnst du? Gehst du noch zur Schule?", beginnt er mich zu durchlöchern. Zu viele Fragen. Meine Hände verkrampfen und ich weiche von ihm zurück.

„Du hast kein Recht darauf, dass zu erfahren.", pampe ich ihn an. Für einen kurzen Moment entgleiten ihm die Gesichtszüge. Doch dann fängt er sich wieder.

„Hey, ist okay. Ich habs verstanden. Keine Fragen.", er setzt wieder sein perfektes Zahnpasta Lächeln auf, aber es wirkt einfach nur falsch. Dann deutet er wieder auf den nun leeren Stuhl vor ihm. „Bitte".

„Okay", gebe ich nach und setze mich wieder zu ihm.

„Dann erzähle ich dir jetzt mein peinlichstes Erlebnis, ...", beginnt er schmunzelnd. Seine düstere Stimmung ist wie weggeblasen. Und dann erzählt er. Wir unterhalten uns noch mehrere Stunden, bevor die Pizzeria schließt. Er scheint nett zu sein und lustig. Doch je länger ich mit ihm an einem Tisch saß, desto mehr fiel mir auf, dass sein Lächeln oftmals nicht seine Augen erreichten. Am Ende besteht er darauf, mich nach Hause zu bringen. Aber ich kann ihn davon überzeugen, dies nicht zu tun. Ich kenne ihn doch eigentlich gar nicht. Dafür haben wir aber unsere Handynummern getauscht. Nach all den Jahren verlangt mein Geist nach einer Gewohnheit, nach einem Alltag. Ich beneide immer die Menschen, die zur normalen Arbeit gehen dürfen, abends Wein trinken und den Tatort mitfiebern.

Und je mehr Zeit hier im Untergrund vergeht, desto größer wird meine Sehnsucht nach so einem simplen Leben.

Bei dem Gedanken an unsere hitzigen Unterhaltungen grinse ich wie eine Irre vor mich hin. Als ich vorhin im Untergrund angekommen bin, musste ich feststellen, dass Five nicht da war. Auch von den anderen fehlte jede Spur. Aber das kommt öfter vor. Wahrscheinlich haben sie einfach nur einen neuen Auftrag bekommen. Bevor ich wieder von Albträumen wachgerüttelt werde, entschloss ich mich, mich direkt in Fives Bett zu legen. Er ist wie ein Bruder für mich und ich weiß, dass es ihm nichts ausmachen wird.

Der Tag war anstrengend und langsam fallen mir die Lieder zu.

Ich werde von einem Ächzen wach, dass mir eine Gänsehaut auf meinen Körper zaubert. Wieder ein Stöhnen. Orientierungslos greife ich nach meinem Handy, das noch neben meinem Kopf auf dem Bett liegt. 03:42. Es ist noch Mitten in der Nacht.

Aber das Keuchen lässt mich wieder aufschrecken. „Hallo?", flüstere ich zögernd in den Raum. Wieder ein Ächzen.

Ich kratze meinen gesamten Mut zusammen und führe eine Hand unter der Bettdecke hervor. Dann versuche ich den Lichtschalter für einen provisorischen alten Scheinwerfer zu finden, den Five vor einigen Monaten auf einer geschlossenen Baustelle erobert hat.

Nach einigen Griffen ins Leere erfasse ich einen Knopf und drücke ihn runter. Das Zimmer wird von einem grellen Licht durchflutet und blendet stark meine Augen. Ich kneife sie sofort zusammen und versuche das helle Licht mit meinen Händen abzuschirmen. Nachdem sich meine Augen einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt haben, blinzel ich einige Male, bevor ich meine Lieder öffne.

Mein Herzschlag macht einen Aussetzer. Auf dem Boden liegt zusammengekauert eine Gestalt.

„Five?", wispere ich, aber erhalte als Antwort nur ein Keuchen. Noch nie in meinem Leben habe ich so schnell ein Bett verlassen. Eiseskälte legt sich wie ein dicker Mantel um meine nackte Haut, aber ich habe nur Augen für Five. Ich lasse mich auf die Knie fallen und begutachte seine Verletzungen.

Sein Gesicht ist von Faustschlägen dick angeschwollen und ich kann frische Blutergüsse im Bauchraum unter seinem Tshirt und Blut läuft ihm in dünnen Fäden aus den Mundwinkeln heraus. Er wurde verprügelt. Aber wer könnte Five verprügeln? Kaum einer kann es mit ihm aufnehmen.

Ohne groß nachzudenken hole ich den alt bekannten Verbandkasten aus dem Bad und versorge seine Wunden provisorisch mit Creme und kühlenden Lappen. Bevor ich ihn auf das Bett hieve, schiebe ich ihm zwei starke Schmerztabletten in den Mund. „Erst lutschen, nicht direkt schlucken"

Wir Numbers mussten uns über die Jahre hinweg schon oft gegenseitig verarzten. Nicht nur einmal stand mein Leben und auch das der anderen am Rande einer Klippe. Dennoch bricht es mir jedes Mal das Herz, einen von ihnen so zu sehen. Es ist ein innerer Schmerz, an den ich mich niemals gewöhnen werde.

Und dann liegen wir wieder zusammen im Bett. Wie am Tag zuvor, doch dieses Mal ist es anders. Dieses Mal schlinge ich meine Arme um Five, versuche ihn zu wärmen und rede beruhigend auf ihn ein. „Wer war das?", wispere ich und spreche damit die Frage aus, die mir schon seit Minuten im Kopf herumschwirrt.

„Es... es ist schief gelaufen", kann ich aus dem Krächzen von Five wahrnehmen. Was soll das denn heißen? Was ist schief gelaufen? Doch bevor ich ihn danach fragen kann, schüttelt er den Kopf. „Nicht jetzt.", wispert er.

Und ich lasse ihn. Five ist für mich wie ein Bruder und gibt mir immer Halt und Schutz wenn ich es brauche. Doch heute Abend ist er dran. Und bevor ich etwas erwidern kann, nehme ich schon seine ruhigen Atemzüge wahr. Die Tabletten haben gewirkt. Er ist eingeschlafen.

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