05. Searching For An Answer

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~ Sendai, 24. April 2012 ~

Den kompletten Schultag hänge ich meinen Gedanken nach. Wieder einmal. Die Worte von Nishinoya lassen mich nicht mehr los. Ich bin mehr als verwirrt. Habe ich tatsächlich Angst davor wieder Volleyball zu spielen? Aber warum? Und wovor? Vor einer erneuten Verletzung? Rede ich mir vielleicht selbst ein, dass ich nie wieder spielen kann, weil ich Angst habe? Es stimmt, dass meine Verletzung noch nicht verheilt ist. Es wird auch noch eine ganze Weile dauern, bis ich mein Knie wieder voll belasten kann. Mein Physiotherapeut meinte gestern, dass ich mein Knie bereits jetzt schon wieder verhältnismäßig gut bewegen kann. Noch nie habe ich einen Gedanken daran verloren, dass ich Angst haben könnte. Nicht vor dem Volleyball. Dazu liebe ich diese Sportart zu sehr. Wie kommt Nishinoya nur auf so etwas? War wirklich Angst in meinem Blick? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Doch warum hat er es dann erwähnt? Kann es sein, dass er es sich einfach eingebildet hat? Aber so hat er nicht gewirkt. Im Gegenteil. Für mich schien es so, als hätte er bereits Erfahrung. Als wüsste er, wovon er spricht.

Die ganze Zeit spüre ich die Blicke von Nishinoya auf mir liegen. Aber traue ich mich nicht, ebenfalls zu ihm zu sehen. Auch, wenn er nur eine Reihe hinter mir sitzt. Mich interessiert allerdings, an was er denkt. Irgendwie habe ich es geschafft ihm den ganzen Tag aus dem Weg zu gehen. Was nicht sehr einfach war. Immer wieder wollte er auf mich zugehen, doch bin ich dann ganz schnell geflüchtet. Jedenfalls so schnell, wie es mein Knie aktuell zulässt. Er hätte mich bestimmt nochmal auf unser Gespräch von heute Morgen angesprochen. Noch immer weiß ich nicht, was ich hätte antworten soll.

Frustriert seufze ich auf. Lauter als gewollt. „Passt Ihnen etwas an meinem Unterricht nicht, Fräulein Kobayashi?", bringt mich die Stimme der Lehrerin zurück in die Realität. Sämtliche Aufmerksamkeit liegt mal wieder auf mir. Einige meiner Mitschüler beginnen zu kichern. Mein zweiter Tag an der Karasuno und ich lege mich jetzt schon mit dieser Lehrerin an. Schon jetzt kann ich sie nicht leiden. Das nenne ich einen neuen Rekord. „Wissen Sie", fange ich mit einem deutlich falschen Lächeln an, „Mir fehlt einfach noch das Vorwissen für diese Aufgabe. Daher komme ich damit noch nicht klar. Könnten Sie es bitte noch einmal erklären?" Die einzige und wahrscheinlich auch sinnvollste Ausrede, die mir auf die Schnelle eingefallen ist. Zwar ist der Stoff etwas kompliziert, aber ich habe es verstanden. Auch, wenn ich nicht wirklich aufgepasst habe.

„Nein", lehnt sie sofort ab, „Kommen Sie einfach vorbereitet in meinen Unterricht und Sie haben keine Probleme mitzukommen, Fräulein Kobayashi." Bitte was? Und das Fräulein kann sie sich auch sparen. „Fragen Sie ihre Mitschüler, wenn Sie es nicht verstehen", setzt sie nach. Was für eine Bitch! „Sollte es nicht Ihr Job sein, den Schülern den Schulstoff beizubringen?" „Ist es und das habe ich auch." Natürlich. Kurz gleitet mein Blick durch die Klasse. Deshalb sehen alle anderen in der Klasse auch so aus, als hätten sie eine Ahnung von dem Thema. Vielleicht zwei oder drei kann ich erkennen, die den Stoff wirklich verstanden haben. Mich eingeschlossen. Aber der Rest hat keinen Schimmer von der ganzen Sache. „Allerdings werden die Schüler nicht dafür bezahlt, den Job der Lehrkraft zu übernehmen", kontere ich, „Ein paar Blätter auszuteilen und nur zu sagen 'macht mal' ist bei einem neuen Thema nicht Sinn der Sache. Stattdessen sollten Sie das Thema erklären und auf die Fragen eingehen." Scharf ziehen einige meiner Mitschüler die Luft ein. Wahrscheinlich haben sie nicht damit gerechnet, dass sich die Neue mit der Lehrerin anlegt. „Fräulein Kobayashi, ich werde mit Ihnen nicht über meine Unterrichtsmethoden diskutieren", erklärt sie mir in ruhiger Tonlage. Allerdings hat sich schon eine kleine Wutader an ihrer Schläfe gebildet. Ihr passt es gar nicht, dass jemand ihren Unterricht anzweifelt geschweige denn eine solche Diskussion beginnt. „Wenn Ihnen mein Unterricht nicht passt, können Sie gerne gehen. Ich werde Sie nicht aufhalten."

Tatsächlich fange ich an meine Sachen einzupacken. Allerdings nicht, weil sie indirekt gesagt hat, ich solle verschwinden. In diesen Moment läutet die Schulglocke. Damit ist auch der heutige Schultag überstanden. „Ich würde zwar super gerne weiter mit Ihnen über Ihre Lehrmethoden diskutieren, aber ich muss los. Bis morgen", richte ich mich an die Lehrerin mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. Tja, wenn man mir blöd kommt, kontere ich eben genauso zurück. Ich schultere meine Tasche und verlasse das Klassenzimmer als Erste.

Broken PassionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt