[Eins]- Schöne Fremde

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Schweigend sitze ich am Küchentisch meiner besten Freundin und halte die große Kaffeetasse mit beiden Händen umfasst; gedankenleer starre ich in die braune Flüssigkeit hinein und ertrage den mitleidigen Blick von Naddy auf mir.
Das einzige Geräusch in diesem Raum ist das Vibrieren meines Handys, das ständig aufleuchtet, weil unzählige Nachrichten herein kommen.
Nachrichten von ihm: Martin. Immer nur kurz erhasche ich einen Blick und erkenne an den wenigen Zeilen, die mir angezeigt werden, dass es ohnehin nur Vorwürfe und Vorhaltungen sind, die er mir ununterbrochen entgegenwirft.
Vermutlich wieder all das, was er mir fast täglich sagt.
Mit einem genervten Stöhnen greift Naddy danach und schaltet es aus. »Dieser Kerl ist die Pest!«, knurrt sie und steht auf. »Lass uns gehen«, spricht sie und schlägt mir auffordernd gegen die Schulter.
»Gehen?«, frage ich sie verdutzt.
»Trinken. Du brauchst Ablenkung.«
»Ich will nichts trinken«, murmle ich und nehme einen Schluck von meinem letzten Rest Kaffee.
»Als hättest du eine andere Wahl«, bleibt sie hartnäckig, ergreift meine Hand und zieht mich vom Stuhl hoch.
Wohl wahr. Abgesehen davon, dass man ihr Ideen selten ausgetrieben bekommt, habe ich gar nicht die Kraft mich gegen sie zu wehren.
»Ich fahre, du trinkst.«
»Wie langweilig.« Ich versuche zu lächeln.
»Dann trinken wir beide. Dennis holt uns bestimmt ab«, gluckst sie.

Vermutlich hat Naddy all die Zeit, die wir bei ihr saßen, überlegt, wohin sie mich schleppen kann, denn sie steuert ihren Wagen sehr zielstrebig durch die Straßen Miamis zu einer Bar, in der wir zuvor bisher nur einmal gewesen sind, und das ist schon etliche Monate her. Ich selbst hätte den Weg nicht auf Anhieb gefunden. Direkt eingefallen wäre mir diese Bar aber auch nicht.
Weil es noch recht früh ist, haben wir auch kein Problem, einen schönen Platz zu finden. Jedoch wissen wir beide, dass es nicht so leer bleiben und der Raum schon bald überfüllt sein wird.
Aber nach dem zweiten Whisky und dem ersten Cocktail ist mir das sowieso egal. Der Alkohol hebt meine Stimmung allerdings nicht, sondern zieht mich immer tiefer in die Verzweiflung. Allerdings hat dies zur Folge, dass ich redseliger werde und Naddy nun erzähle, was genau heute mit Martin vorgefallen ist. Vermutlich war das auch ihr Plan gewesen.
Mit Sicherheit konnte sie sich all die Zeit denken, was gewesen ist. Denn es war nicht das erste Mal, dass ich wegen ihm völlig bedrückt an ihrem Tisch sitze.
»Es war längst überfällig«, höre ich sie dann sagen. »Glaub' mir. Er tut dir nicht gut.«
»Ich weiß«, seufze ich. »Aber ... nicht alles ist schlecht, weißt du?«
»Was denn zum Beispiel?«, fragt sie zähneknirschend.
Ich setze an, etwas zu sagen, schweige aber, weil mir auf Anhieb nichts einfällt. Ich muss mein Gedächtnis wirklich anstrengen, bis ich mich an eine Situation erinnere, in der ich mich tatsächlich wohl gefühlt habe. Unsere ganze Beziehung ist geprägt von Vorwürfen, Vorhaltungen und Unterstellungen. Wann der letzte liebevolle und einfühlsame Moment war, kann ich gar nicht bestimmen. Es ist einfach zu lange her.
»Geh' nicht zu ihm zurück«, bittet sie mich und ergreift meine Hände. »Cait, ich meine das Ernst. Wenn du jedes Mal zu ihm zurückgehst, fühlt er sich sicher, dass er dich nie verlieren kann und wird nie aufhören, dich so zu behandeln. Lass das nicht mit dir machen.«
»Ich will nicht mehr zurück.«
»Dann geh' diesmal auch nicht!«, sagt sie jetzt eindring­lich. »Ich hätte gerne meine Freundin wieder.«
»Ich war nie weg«, entgegne ich.
»Aber auch nie da.«
Seufzend stimme ich ihr zu. Zumeist waren wir immer nur mit seinen Freunden unterwegs. Wenn ich mal etwas mit Naddy oder Dennis unternehmen wollte, endete es in einem Streit, weshalb ich dann gar nicht gegangen bin.
»Süße«, reißt sie mich aus meinen Gedanken und fordert, sie anzusehen. »Genieße deine Freiheit.« Dabei deutet sie in der Bar herum auf ein paar Männer. »Die wären doch was für dich«, fügt sie grinsend hinzu und zeigt auf drei.
»Wären sie nicht«, lehne ich ab und verziehe eine Augenbraue.
»Sie sind dein Typ«, bleibt sie hartnäckig.
»Sind sie nicht. Ich will keinen Mann mehr, der in Bars geht, sich betrinkt und auf Beutefang ist.«
»Nicht alle sind wie Martin«, versucht sie mich zu überreden.
»Ich weiß, aber trotzdem. Ich bin gerade ein paar Stunden Single, da werde ich mich nicht an den Nächsten hängen.«
»Ist nur Ablenkung«, antwortet sie grinsend.
»Nein, danke«, lehne ich erneut ab und sehe mich dennoch im Raum um.
Dabei bleibt mein Blick an einer Frau hängen, die in dieser Menge wegen ihrer kastanienroten Haare auffällt. Auch ihre Augen sind auf mich gerichtet.
Peinlich berührt senke ich meinen Blick zu meinem Glas und führe es an meine Lippen. Während ich trinke sehe ich wieder zu ihr rüber und direkt wieder weg, weil sie mich immer noch ansieht. Ihr Blick ist irgendwie ... frech. So ganz kann ich es nicht definieren, aber sie scheint mich mit Neugier zu beobachten, und nicht wie die meisten Frauen, als würde sie die hier anwesende Konkurrenz mustern.
Ich fühle mich unwohl dabei und versuche sie einfach zu ignorieren, aber irgendwie gelingt es mir nicht. Immer wieder wandert mein Blick zu ihr; so unauffällig wie möglich.
Mit jedem Mal, den sie mich nicht ansieht, atme ich erleichtert aus, nutze aber unwillkürlich den Moment und beobachte sie.
Auf ihren Lippen trägt sie stets ein freches oder aber selbstsicheres Schmunzeln, während sie sich mit den Männern unterhält, die mit ihr am Tisch sitzen.

JoleneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt