Kapitel 4: Das Schicksal

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Ich lehnte an der kühlen Wand neben der Türe zum Direktorrat. Durch meinen plötzlichen Aufbruch am vorigen Tag und trotz meiner Entschuldigung von zu Hause, musste ich zum Direktor. Ich hatte meine Arme vor der Brust verschränkt und meinen Pullover weit über die Handgelenke gezogen. Mürrisch knabberte ich an meiner Unterlippe herum.

''Wie eh und je die Annie!'', lachte eine tiefe Stimme amüsiert. Erschrocken sah ich auf und erkannte Paul vor mir. Ich bemerkte, dass er sich ordentlich verändert hatte. Seine langen Haare waren wie bei den anderen kurz, er war ordentlich in die Länge gegangen und hatte dem Anschein nach Anabolika geschluckt. Sein T-Shirt spannte sich auf der muskulösen Brust und als ich hoch in seine dunkelbraunen Augen sah, versteifte Paul sich plötzlich.
''Was ist wie eh und je?'', fragte ich trotzig. Dennoch bemerkte ich dieses komische Gefühl in meinem Magen. Es war komisch wieder so nah vor ihm zu stehen. Seit unserer Trennung waren wir, so gut es uns gelingen konnte, aus dem Weg gegangen. Oder zumindest ich ihm.

Und wieder zog diese Erinnerung in meinem Kopf vorüber, die mich damals in ein tiefes, schwarzes Loch warf.

''Sei mal ein bisschen netter, das ist doch eigentlich das mindeste was ich als deine Freundin verlangen kann, oder nicht?'', begann ich zu weinen, da Paul wieder etwas gemeines vor seinen Freunden zu mir gesagt hatte. Wir waren etwas abseits gegangen, damit wir alleine reden konnten.
''Liebst du mich überhaupt noch?'', hatte ich ihn irgendwann gefragt, aber Paul hatte mich nur angesehen. Er war meine erste große Liebe gewesen und ich wollte ihn bei mir haben. Immer! Aber er war nie da.

''Mach es kurz, egal wie deine Antwort ausfällt! Tu mir nicht allzu weh..'', wisperte ich den letzten Teil und ich konnte schon sehen, wie egal ihm alles war.
''Annie, das alles war einfach nur ein Spiel..das mit uns war nie wirklich etwas gewesen..'', sagte er so, wie als wäre es offensichtlich gewesen. Meine Knie gaben nach und ich sackte zu Boden, weinend. Als er anscheinend doch Mitleid bekam, legte er eine Hand behutsam auf meinen Rücken.
''Geh weg!'', schrie ich ihn an.

''Sag nicht einfach geh!'', grummelte er sauer. Dann packte er mich an den Armen und zog mich hoch. Er hatte damals schon ordentlich Kraft gehabt und so hatte es auch keinen Sinn gemacht, sich zu wehren.

''Fass mich nicht an, lass das!'', schrie ich. ''Du warst schon scheußlich genug!'' Er hatte mir meine Seele aufgeschlitzt und mich fallen lassen. Alles was war, war plötzlich verschwunden, aber er wollte mich nicht lassen. Er blieb um noch alles schlimmer zu machen. Er hatte mich verarscht und gehetzt. Paul Lahote war wohl jemand, der nur geliebt werden kann, aber diese Gefühle selber noch nie empfand.

Sofort war dieser Stich ins Herz wieder da und ich musste kräftig schlucken. Paul brachte kein Wort heraus und es schien, als würde er durch mich hindurch sehen. Unsicher fuchtelte ich mit meiner Hand vor seinem Gesicht herum.
''Hallo? Lahote? Alles okay?'', sagte ich mit trockenem Mund. Als er wieder bei sich zu sein schien, erkannte ich wie sein Gesicht eine Nuance dunkler wurde, was darauf schließen ließ, dass er rot wurde.
''Ä-ähm..ich...äh'', stotterte er und kratzte sich am Hinterkopf. Machte ich ihn etwa nervös? Verblüfft musterte ich ihn.
''I-ich meine...also..d-du hast d-damals schon immer an deiner Unter..Unterlippe gekaut''
''Wow'', sagte ich gespielt begeistert. ''Na wenigstens an etwas erinnerst du dich...damals nach unserer Trennung wusstest du ja offensichtlich gar nichts mehr..''

Paul POV

Den Zorn und den Schmerz hörte ich sofort aus ihrer Stimme heraus. Ebenso bemerkte ich, wie unangenehm ihr meine Anwesenheit war. Ich ging einen Schritt zurück.
Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass mein Gegenstück Annie sein könnte. Aber warum nicht? Sie war wunderschön, ebenso wie ihr Charakter. Ihre liebevolle Art gegenüber allem was lebt, ihre an Perfektion gleichende Erscheinung zum niederknien - und sie hatte einen Freund.
Bei dieser Erkenntnis zog es in meiner Brust.
Das alles kam zu plötzlich. Ich konnte mich nicht darauf vorbereiten geprägt zu werden und dann war es passiert! Ich konnte es nicht mehr rückgängig machen, aber wollte ich das denn?
Nein, ich wollte sie an meiner Seite haben, aber ihr Blick verriet mir, wie weh ich ihr getan haben musste.

Vor zwei Jahren hatte ich sie verlassen, bevor ich zu weit gehen konnte.
Es war lustig gewesen, mit den Mädchen zu spielen, bis ich bei Annie bemerkte, dass ich sie dennoch mochte. Als Freundin, als Kumpel.

Ich wollte ihr nicht noch mehr weh tun, als ich es ohnehin tun müsste. Aber das war mir in diesem Moment schon zu viel. Wie konnte ich diesem wundervollen Mädchen weh tun?
Ich hab sie verleumdet und verleugnet bis ins Blut.

Und jetzt stand ich hier vor ihr, nach so langer Zeit.
Konnte ich mich damals wirklich an nichts erinnern? Wenn nicht, dann konnte ich es jetzt wieder! Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen wie sehr ich sie doch liebte und wieder haben wollte. Nie wieder würde ihr jemand sowas antun! Aber wie sollte ich das machen?
Vermutlich hasste sie mich für das, was ich getan hatte..
Mit einem Mal fühle ich mich halb tot.
Niemals hätte ich gedacht, dass mich das mit Annie so frustet, dass ich mich am liebsten zusammen rollen würde und beginnen würde zu weinen.

So kannte ich mich selber nicht! Tränen?
Nicht mal als Kind hatte ich geweint!
Aber nun?
Sie veränderte mich und mein Leben! Sie war mein Leben und ich hatte sie verletzt!
-Meine Annie

''E-es tut mir leid Annie'', flüsterte ich und sah betreten zu Boden.
''Und dafür musstest du gerade so lange überlegen? Muss dir ja sehr leid tun...'', sagte sie scharf, als die Türe vom Direktorrat aufging und sie rein ging, ohne sich auch noch ein Mal zu mir zu sehen.
Ich musste zu Sam. Dringend!
Und da war es mir egal, wenn ich erneut Schule schwänzen musste!

Ich war so ein Scheusal!

Rainy DayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt