ꕥ chapter two ꕥ

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Jana

Schnell lief ich zum Bus. Dieser Junge war eben unheimlich gewesen. Ich weiß nicht, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde ihn kennen. Keine Ahnung, vielleicht habe ich mir das aber auch nur eingebildet. Braune Locken sind schließlich nichts Besonderes.

Ich setzte meine Kopfhörer in meine Ohren. Die Musik tat gut. Mein Herz machte einen Satz als ich die neue Nachricht von meiner Mutter las. Sie schickte mir nur einen Smiley. Aber dieser hatte es in sich. Übelkeit kam in mir hoch.

Gedankenverloren rieb ich mir meinen Unterarm, der immer noch weh tat. Ich bin 17, gehe auf ein Gymnasium und meine Eltern haben ordentlich Geld. Eigentlich ist es das perfekte Leben für mich. Eigentlich. Denn viele Menschen denken in einer Welt – geleitet von Instagram und Co – nur an das Offensichtliche. Sie hat das allerneuste IPhone, teure Markenklamotten und einen gut laufenden Instagramaccount. 

Aber, was ist, wenn der Preis für das neue IPhone teuer ist? Und ich rede hierbei nicht um Geld. Was ist, wenn du nie der verrückten Perfektion deiner Mutter entsprechen kannst? Wenn du nicht den glorreichen Weg deines Bruders nachahmen kannst? Was ist, wenn du nie deinen Willen bekommst, immer an letzter Stelle kommst? Und was ist, wenn du einfach mal ein normaler Mensch sein willst. Wenn du lachen kannst, wann du willst, wenn du weinen kannst und weißt, dass da jemand ist, der dich in den Arm nehmen wird.

Denn letztendlich steckt hinter jeder menschlichen Fassade nahezu unendlich viel Geschichte. Und meine ist nicht schön, sie ist grausam.



30 Minuten später



In dem Moment, als mein Finger die Türklingel berührte, wusste ich schon jetzt, dass es Ärger geben würde. Aber nicht so ein Ärger, wie meine Freunde bekommen, wenn sie mal wieder zu spät von der Disko kamen. Nein, Ärger heißt im Hause Rösner Strafe. Und die sieht manchmal sehr mittelalterlich aus.

„Jana, wo bist du nur wieder gewesen? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst vor einer Stunde wieder zu Hause sein? Ich kriege die Krise, warte nur bis deinVater davon erfährt. Geh auf dein Zimmer, sofort und keine Widerrede!"

Schnell flüchtete ich auf mein Zimmer. Das ging ja gerade noch. Ich hätte die Reaktion von meiner Mutter viel schlimmer erwartet. Langsam legte ich mich aufs Bett und zog mein Handy aus der Hosentasche. Keine Nachricht. Ich weiß auch nicht, warum ich so traurig darüber war, dass ein Unbekannter mir doch nicht geschrieben hatte. Der hat sich wahrscheinlich eh nur einen Spaß draus gemacht. Vielleicht quatscht er ja jeden Tag ne andere an.

In diesem Moment wurde meine Zimmertür aufgerissen. „WIE OFT HABEN WIR DIR GESAGT, DASS DU GEFÄLLIGST PÜNKTLICH ZU HAUSE SEIN SOLLST! PÜNKTLICH HEISST PÜNKTLICH, KEINE SEKUNDE SPÄTER, FRÄULEIN! DU HAST HIER KEINE EXTRAWÜNSCHE FREI. MEIN GOTT!"

Und dann holte er aus. Wusch. Schmerz durchzog meinen Arm, an dem er mich getroffen hatte. Ich spürte ein unangenehmes Pochen auf meiner Haut. Ich traute mich aber nicht, auf die neue Wunde zu schauen oder insgesamt zusammenzuzucken. Den Erfolg würde ich ihm auf jeden Fall nicht gönnen. Mein Vater machte auf dem Absatz kehrt und schloss die Tür zu.

Erleichtert seufzte ich auf. Ich ging zu meinem Schminktisch und schaute in den Spiegel. Wieder einmal bekam ich Tränen in den Augen. Seit ein paar Monaten ging das jetzt so. Ich war schon immer die kleinste und unwichtigste in der Familie gewesen, trotzdem überforderte mich diese Situation jedes Mal aufs Neue. Viele Gedanken wirbelten meine Gefühle auf. Ich kann nicht mehr. Ich bin fix und fertig. In genau 11 Monaten bin ich achtzehn. Dann kann ich endlich ausziehen.

Mit diesem Gedanken versuche ich mich immer abzulenken. Ob dieser Plan jemals in Erfüllung geht, weiß ich nicht, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, gerade bei mir. 

Müde und komplett fertig schließe ich letztendlich die Augen, in der Hoffnung, der Unbekannte hätte mir doch geschrieben.

strawberries and cigarettes 🤍Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt