Prolog
Raphael Ragucci
„Urlaub in Deutschland? Vier bis sechs Wochen? Niemand macht vier bis sechs Wochen Urlaub in Deutschland, Raphael. Ich meine, halb Wien fährt in den Sommerferien nach Kroatien und du, der sich fast schon für einen halben Kroaten hält, willst nach Deutschland? Wohin denn genau? Ostsee? Nordsee?"
Barbara, meine Schwester lachte auf und schüttelte den Kopf. Sie machte sich lustig über mich, eindeutig und ich verzog genervt die Mundwinkel.
„Ja, Deutschland. Ich weiß noch nicht genau wohin ich will.", gab ich zu. „Aber nicht an die See.", murmelte ich.
„Etwa in die Berge? Davon haben wir hier in Österreich ja nicht genug.", schmunzelte sie. Sie strich sich ihr langes, dunkelbraunes Haar aus der Stirn, lehnte sich zurück und hielt ihr Gesicht in die Sonne über Wien. Wir hatten Anfang Juni, saßen in einem Café an der Mariahilf Straße, tranken Espresso und unterhielten uns über die Pläne, die wir für den Sommer hatten.
„Du verarscht mich, Fleur.", sagte ich ernst und sah sie an. Sie war ganze acht Jahre jünger als ich, Ende zwanzig und bildhübsch. Fleur – Blume. Schon früh hatte sie diesen Spitznamen bekommen, weil sie einfach so schön wie eine Blume war. Es war offensichtlich, dass sie mich nicht ernst nahm. Aber ich meinte es ernst.
„Nein, auch nicht in die Berge. Dorthin, wo ich hoffentlich keine Menschenseele treffe, die mich erkennt. Keine Touristenhochburg. Du weißt, dass ich eigentlich vorhatte, diesen Sommer den Jakobsweg zu laufen aber Corona hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht."
Nachdenklich nahm ich einen Schluck meines Espressos, mit einem leisen Klirren stellte ich die kleine Tasse zurück auf den Untersetzer.
„Naja, musst du wissen. Wenn du meinst, an den Arsch von Deutschland zu reisen wäre das Mittel um deinen Seelenfrieden wieder zu finden, dann mach es.", sagte Fleur. „Hast du denn ein Ziel?"
„Nein.", antwortete ich, griff in die Tasche meiner blauen Joggjeans und zog mein Smartphone hervor, entsperrte es und öffnete Google Maps. „Eigentlich wollte ich klassisch Dartpfeile auf eine Karte werfen und sehen, wo die landen.", meinte ich schmunzelnd. „Davon hätte ich mir den kleinsten Ort ausgesucht, mir eine Ferienwohnung dort genommen und wäre abgetaucht. Dann habe ich aber festgestellt, weder Dartpfeile noch eine Deutschlandkarte zu besitzen und entschied mich für einen anderen Plan."
Ich ließ mir Deutschland auf meinem Smartphone anzeigen, sah, wie Fleur mich skeptisch beobachtete, ehe ich die Augen schloss und blind mit meinem Zeigefinger ein paar Mal auf das Display tippte.
„Du hast eine Meise, Raphael.", hörte ich sie sagen, als sie verstand, was ich da machte und ich öffnete meine Augen.
„Sag: Wohin geht die Reise der Selbstfindung?" Ein wenig neugierig lehnte sie sich zu mir herüber, linste auf das Display.
„Schwalbenburg.", las ich den Ortsnamen vor, der zum Vorschein kam, als ich meinen Finger anhob.
„Was hättest du gemacht, wenn du auf Düsseldorf getippt hättest?" Fleur lachte auf, schüttelte erneut den Kopf.
„War Schicksal, dass es keine Großstadt geworden ist.", behauptete ich, schloss die Karte und öffnete die Suchmaschine. Barbara beugte sich zu mir herüber, sah über meine Schulter, während ich durch die Einträge der Suchmaschine scrollte.
„Okay. Das klingt wirklich nach Arsch der Welt.", meinte sie, mit rüden Worten, die sie eigentlich eher selten benutzte und zog die linke Augenbraue hoch. „Ich meine, da ist Hannover." Sie deutete auf einen Punkt auf der Landkarte. „Und dort Bielefeld. Ist Bielefeld nicht diese Stadt, über die die Deutschen immer den Witz machen, es gäbe sie gar nicht?"
„Ich glaube ja." Ich schmunzelte. Verrückte Leute, diesen Witz habe ich noch nie verstanden. Schwalbenburg, ein Kaff irgendwo zwischen Bielefeld und Hannover. Dorthin würde mich meine Reise zur Selbstfindung, wie Fleur es zuvor genannt hatte, also führen. Scheiße, was hab ich mir da nur eingebrockt?
Ich seufzte. „Knappe 9.000 Einwohner. Ich habe Konzerte vor mehr Menschen gespielt, als da leben.", sagte ich. Für einen Moment überlegte ich ernsthaft, mein Suchspiel noch einmal von vorn zu beginnen und zu hoffen, dass ich doch irgendwo auf Sylt oder zumindest in Köln oder München landete.
„Na, denkst du über einen Rückzieher nach?" Meine Schwester warf sich ihren langen Zopf über die Schultern, herausfordernd und ein wenig frech sah sie mich durch ihre braunen Augen an.
„Raphael Ragucci macht niemals Rückzieher. Ein Mann ein Wort. Gib mir mal mein Handy zurück." Ernst sah ich meine Schwester an, streckte meine Hand danach aus.
Fleur hatte es mir zuvor abgenommen, um besser auf das Display sehen zu können. Sie reichte es mir, ich tippte ein paar Worte in die Suchmaschine und kurz darauf wurden mir Hotels und Pensionen in der Gegend angezeigt.
„Ganz ehrlich, es sieht dort eigentlich ganz schön aus.", Ich betrachtete die Bilder, die mir das Netz offenbarte. Typisch Deutsche Altstadt mit Fachwerkhäusern und Kopfsteinpflastern. Wälder, Natur und Wanderwege. Das absolute Nichts, vielleicht genau das Richtige, um mich auf mich selbst zu besinnen.
„Vielleicht tut es mir gut, dass dort nichts ist. Wahrscheinlich nicht mal vernünftiger Handyempfang." Ich grinste, merkte, dass Barbara auf einmal ernst wurde.
„Raphael, auch wenn ich es im ersten Moment für eine deiner bescheuerteren Ideen halte: Vielleicht hast du Recht und so ein völliger Tapetenwechsel holt dich mal aus deinem Trott. Vielleicht fährst du tatsächlich mal runter, wenn du nichts, was dich an RAF Camora erinnert um dich herum hast. Kein Wien, kein Berlin ,kein Barcelona. Keine Raben in Vevey und kein Urlaub in Neapel."
„Ich will dort mein Buch schreiben. RA kann also nicht ganz zu Hause bleiben." Ich lehnte mich zurück, drehte mein Gesicht in Richtung Junisonne.
Manchmal haben mich die verrücktesten Eingebungen in meinem Leben schon auf ganz neue, nie erwartete Wege gebracht und wer sagte denn, dass es nicht noch einmal so sein sollte? Einfach mal abtauchen, niemanden außer Barbara und unserer Mutter verraten, wo ich stecke. Zu mir selbst finden.
Ich buchte einfach irgendeine eine Ferienwohnung dort, bevor ich es mir doch noch einmal anders überlegen konnte. Hotel zwei Schwalben hieß der Laden, die Bilder auf der Webseite sprachen mich an. Nicht zu viel Luxus aber dennoch ein gewisser Komfort.
Ich würde fahren. Und zwar schon in drei Tagen.
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Ihr Lieben,
herzlich Willkommen zu meiner neuen Raf- Geschichte. Eigentlich wollte ich keine mehr schreiben, nur noch Raben, Teil zwei zu Ende. Aber es überkam mich doch wieder.
Dieses Mal wird es eine ganz andere Geschichte. Ich schreibe sie natürlich auf der einen Seite, weil es mir Spaß macht und auf der anderen, weil ich mich damit im "Handwerk" üben möchte. Ich hab richtig Bock und auch schon einige Kapitel fertig. Also, wenn ihr auch Bock habt dann begleitet Raf eine Weile in ein ganz anderes Setting als gewohnt.
Ich freue mich über jeden Leser. Lasst mir gern Feedback da.
Nun habt ihr also den (kurzen) Prolog gelesen. Was glaubt ihr, wird Raf dort am gefühlten Ende der Welt erwarten?
Rica
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Call me Mary / RAF Camora
FanfictionSommer 2020. Der Sommer nach dem Zenit. Der Sommer, in dem nichts so läuft, wie er es geplant hat. Raphael will raus. Raus aus seinem Leben als RAF Camora. Zeit für sich. Zeit, um zu sich selbst zurück zu finden. Und er geht. Gefühlt ans Ende der W...