Kapitel 4

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Kapitel 4

Raphael Ragucci

Ich atmete tief durch, als ich allein war, schob die Vorhänge der Terrassentür beiseite, öffnete die gläserne Tür und trat hinaus auf die mit Holz belegte Terrasse, auf der sich ein eine Gruppe Holzmöbel befand.

Der Wind fuhr durch die Blätter der Bäume des gegenüberliegenden Waldes, ich hatte Aussicht auf Wiesen, Obstbäume und das Rauschen des kleinen Baches mischte sich in einem beruhigenden Sound des Vogelgesanges. Dort war nichts- außer mir. Und darauf musste ich erst einmal klar kommen.

Das Ferienhaus lag gute 500 Meter entfernt vom Rest des Hotels, dort waren keine anderen Gäste, niemand, der mich stören konnte. Nicht einmal eine Reinigungskraft, die ihren Putzwagen über die Gänge schieben konnte.

Die Sonne schob sich um die Buchen herum und tauchte einen Teil der Terrasse bereits in ihr Licht und ich blinzelte, als ich meinen Kopf hob.

Hier war ich nun. Das erste Mal seit Jahren völlig allein ohne, dass ich mir schell jemanden aus meiner Familie oder einen meiner Freunde her rufen konnte. Allein, ohne meinen gewohnten Großstadtdschungel, ohne mein Musikstudio ohne Groupies, Fans. Ohne die Ankündigung, das RAF Camora ins Hotel kam.

Es hatte wenige Minuten gebraucht, bis meine Starattitüde hervor gekommen war. Davon mal abgesehen, dass die Hotelmanagerin Auto fuhr wie eine Irre, was ich ihr bei Gelegenheit noch unter die Nase reiben wollte.

Meine Starallüren- ein schlechter Charakterzug aber sobald etwas nicht parat stand, wie ich es für meinen Stand gewohnt war, wurde ich ungehalten. Etwas, was mir unfreiwillig passiert war, eine Angewohnheit, die ich ablegen wollte. Auch darum dieser einsame Trip ins Nichts. Ich glaubte, wieder lernen zu müssen, was es bedeutete, normal zu leben.

Im vergangenen Herbst hatte ich mein letztes Album als RAF Camora veröffentlicht und wusste selbst noch nicht genau, wohin mich mein Weg führen sollte. Finanziell hatte ich ausgesorgt, besaß Immobilien, schicke Autos, eine Managementfirma, einen guten Ruf in Geschäftskreisen. Eigentlich war ich an dem Punkt im Leben, an dem ich einfach machen konnte, was ich wollte. Aber was ich genau wollte wusste ich nicht. Das Einzige, was mir privat noch fehlte waren Frau und Kinder- aber das stand in den Sternen.

Meine letzte Beziehung war vor etwa drei Jahren in die Brüche gegangen, als meine Karriere plötzlich durch die Decke schoss. Mit der Karriere und dem Geld kamen die leichten Frauen und ich war noch nie weniger ein Mann gewesen, als ich meine damalige Freundin mehrfach betrogen hatte. Zurecht hatte sie mich in den Wind geschossen und manchmal trauerte ich ihr noch immer hinterher.

Ich ließ mich auf einen der bequem gepolsterten Gartenstühle fallen, streckte meine Beine aus und zündete mir eine Zigarette an, zog mir den Aschebecher heran und sah auf die Natur vor mir. Beinahe wie in einem dieser grottenschlechten Heimatfilme, die immer auf den Öffentlich,- rechtlichen liefen. Das Kreischen eines Greifvogels ließ mich aufsehen, majestätisch glitt er durch die Lüfte und für einen Moment sah ich ihm hinterher. Er war riesig und vor allem war er frei.

...warte bis der Kranich mich mal mitnimmt. Setz mich auf seinen Rücken und verpiss mich...

Mit Sicherheit war das dort oben kein Kranich, soweit reichte mein Wissen in der Ornithologie doch. Wobei das ziemlich begrenz war. Ich konnte einen Wellensittich von einer Taube unterscheiden. Das war es dann aber auch schon.

Dennoch überkam mich die kindliche Vorstellung, einfach mit diesem riesigen Vogel fliegen zu können. Alles hinter mir zu lassen.

Er verschwand in den Baumwipfeln und ich kam zurück in die Realität. Meine Hose war noch immer dreckig von dem Unfall im Restaurant. Meine Reaktion tat mir am Ende doch leid. Die Servicekraft war noch recht jung gewesen. Dem strohblonden Haar nach zu urteilen, war sie das Mädchen, das ich bei meiner Ankunft an der Treppe gesehen hatte. Es tat mir Leid, ich hatte sie sichtlich zum Weinen gebracht und eigentlich war es nicht meine Art.

Call me Mary / RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt