Sioda konnte nicht tun, was Lorcan von ihm verlangte. Er hatte die Schatzsuche aufgegeben. Dieser Traum hatte sich wie seine Schwester in Wasserblasen aufgelöst. Aber der hartnäckige Niom wollte das einfach nicht einsehen. Lorcan hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihn überzeugen zu wollen, mit ihm erneut in irgendwelche tiefen Höhlen nach wertlosen Münzen und überflüssigen Plunder zu tauchen. Dabei müsste der Niom doch genau wissen, dass Sioda Klippen seit jenem Tag verabscheute. Oder war es dem Abenteurer überhaupt bewusst? Es musste, er war doch dabei gewesen...Sioda rollte ein Feuerstängchen zwischen seinen Fingern. Die Spitze glomm und Luftbläschen stiegen zischend auf. Dieses war das einzige Geräusch, das er trotz seines sensiblen Gehörs vernahm. Die Unendlichkeit Merajotidas umfing ihn, war allgegenwärtig in ihrer Dunkelheit. Die Wellenreiterin lag in den Brachlanden zwischen den zwei größten Tiefseegebirgszügen der südlichen Strömungsgebiete vor Anker. Lorcan wollte hier irgendetwas nachschauen. Anscheinend sollte sich hier irgendwo eine Marmorhand von einer der Hormetoskönigsstatuen aus dem späten zweiten Jahrhundert. Früher war Sioda mit Freuden mitgeschwommen und sie hätten sich in der Vorfreude und Spekulationen über die Geschichte des Artefaktes verloren. Doch jetzt konnte Sioda sich nur fragen, was an so einem Fragment so toll sein sollte. Die kitzelnde Neugier in seinem Gaumen ignorierte er und nach einem tiefen Zug von seinem Feuerstängchen war sie auch wieder verschwunden.
Bevor der einäugige Schatzsucher von Bord geschwommen war, hatte er wie jedes Mal in den vergangenen Wochen, seit er nun schon wieder auf dem Schiff war, gefragt, ob Sioda ihn begleiten möchte. Jedes Mal hatte der Niom abgelehnt und sich vorgenommen, nach Lorcans Rückkehr, die Wellenreiterin und den tätowierten Niom zu verlassen und jedes Mal war er geblieben.
Dieses Schiff war wie eine dieser Perlmuscheln. Auf der einen, äußeren Seite waren sie düster, zerfurcht und vom Meer gezeichnet. Kurz gesagt, kein schöner Anblick. Zusätzlich stach sie in die Hand, verletzte mit ihren scharfen Kanten, wenn er sie angriff. In dem Moment kam Sioda das wie ein Sinnbild für seine traurigen Erlebnisse vor Auf der anderen, inneren Seite verbarg sich aber ein wunderschöner Schatz, eine Perle, die für ihn all die schönen Erinnerungen, die er hier gesammelt hatte, symbolisierte. Natürlich würde er Lorcan nie verraten, dass er so viel Schönes mit ihm und diesem Schiff verband. Das würde ihn nur noch mehr aufblasen.
Sioda seufzte, setzte sein Feuerstängchen an die Lippen und nahm erneut einen tiefen Zug. Der herbe Geschmack von Königskerze, das Kraut, mit dem das Stängchen versetzt war, füllte seinen Mundraum aus und stieg ihm in die Nase. Das war immer ein so bereinigendes Gefühl. In seinen Augenwinkeln brannte es schon wieder und bei jedem Atemzug durch seine Kiemen fühlten sich diese unendlich schwer an, als würden sie das Gewicht all seiner Gefühle stemmen. In gewisser Weise taten sie das wohl auch.
Der Niom wandte sich von der Reling ab, nahm seinen letzten Zu, ehe das Feuerstängchen von selbst verlöschte. Er schwamm hinters Steuerrad, wo eine kleinere Holzkiste an das Standbein gehämmert worden war. Er öffnete den Deckel und gab das erloschene Stängchen hinein. Dort sammelten schon andere. Kurz nachdem sie zu Lorcan aufs Schiff gekommen waren, hatte der Schatzsucher die Kiste dort angebracht. Damit „Sioda nicht sein schönes Schiff zumüllte."
Sioda biss sich auf die Oberlippe, doch er spürte dennoch, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen.
Dafür, dass Lorcan sich so um sein Schiff sorgte, war seine damalige Aktion, es einfach als Wetteinsatz zu setzen, undurchdacht gewesen. Da konnte er von Glück singen, dass er diesen Haken, sein Bleiben, an ihnen vorbeischummeln konnte. Ob das von ihm von Anfang an so geplant gewesen war? Sioda rollte seine Zunge ein und pfiff eine nachdenkliche Melodie. Mit einem Finger hob er den Deckel der Raucherkiste an und ließ ihn wieder darauf fallen. Was bedeutete das für ihn? Für Lorcans und seine Beziehung, die nicht existent war, wenn der Niom ihr Treffen von Anfang an geplant hatte? Warum hätte er das tun sollen? Das war wohl die wichtigste Frage, vor deren Antwort Sioda sich irgendwie fürchtete. Sein Magen zog sich zusammen und der Schweiß brach ihm aus. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
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Wandernde Sucher
FantasyIn all der Unendlichkeit des Merajotidameeres gab es keinen glücklicheren Niom als Lorcan. Er hat alles, was er je vom Leben wollte: die Freiheit, die Weiten des Meeres zu erkunden, ein Schiff, das ihm ganz alleine gehörte und den besten Beruf überh...