Die Vasixaraterne spendete erstaunlich viel Licht, obwohl sie selbst nur blass schimmerte. Nur das ständige Umhertanzen bei seinen Vorwärtsstößen machte es schwieriger, den Weg vor ihnen wirklich zu erkennen, denn jedes Mal, wenn sie zurückschwang hüllte sich der Gang vor ihnen in Dunkelheit. Das Wenige, das er sah, unterschied sich nicht großartig von anderen Höhlen: Stein, abgebröckelte, scharfe Kanten an den Wänden, Geröllbrocken am Boden. Stalaktiten und Stalagmiten machten den Gang zu einem Labyrinth von Hoch und Nieder. Gelegentlich zweigten schmale Gassen ab, die in noch dunkleres Gewässer führte. Selbst das Licht seiner Baumellaterne konnte diese nicht erhellen. Je tiefer sie hineindrangen, desto kühler wurde es und Lorcan bewegte unablässig seine Zehen, um sie aufzuwärmen. Töne wurden vollständig verschluckt, dass selbst sein sensibles Gehör nichts vernehmen konnte.
Lorcan drehte sich nicht zu seinen Gefährten um, doch er wusste, dass sie immer noch hinter ihm waren. Gelegentlich spürte er Arianwens Finger seine Füße streifen, wenn sie mal wieder zu nah schwamm und er roch Sioda. Sein Geruch umgab den Kapitän auf jeder Seite, verteilte sich in dem schmalen Gang und vermischte sich mit der schneidenden Kälte, die zwar kein Geruch war, aber mittlerweile so penetrant, dass sie fast alle anderen Gerüche überdeckte. Fast. Ab und zu erschnupperte er zusätzlich etwas Süßlich-Feuchtes, das ihn an verdorbenes Fleisch erinnerte. Doch war es immer viel zu kurz, als dass Lorcan dem viel Beachtung beimaß. Hier unten war sicher schon Vieles gestorben.
Endlich öffnete sich der schmale, düstere Gang in eine weitläufige Höhle, die durch Löcher in der Decke sogar Licht von der Oberfläche bekam. Obwohl es nun heller war, stellten sich Lorcan die Nackenschuppen auf. Im Wasser lag Gefahr, das spürte er. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Mit einem kräftigen Tritt schwamm er über die zwei Felsen, die diesen Eingang zur Höhle blockierten. Er zwängte sich durch den Spalt, der gerade breit genug für ihn war und schwebte schließlich mitten in der Höhle.
Lorcan stemmte die Hände in die Hüften und nahm die Höhle in sich auf. Von seinem Standpunkt aus sah er vier weiter Eingänge, die ähnlich schmal waren wie der, aus dem sich Sioda gerade hervorzwängte. Arianwen schwamm schon in der Höhle umher und inspizierte ein Moosbett auf einem Steinriff genauer. Sioda kam zu ihm und an der Art, wie seine Finger nervös an seiner Lippe zupften, während seine Augen Arianwen gar nicht mehr losließen, merkte Lorcan seine Sorge. Behutsam legte er eine Hand auf die Schulter des Halbnioms. Dieser zuckte zusammen und für einen kurzen Moment flackerte Siodas Blick zu ihm, um sich sofort wieder an seine Schwester zu heften.
„Beruhige deine Gewässer. Ihr passiert nichts", versuchte Lorcan ihn zu besänftigen. Sie waren nun schon auf einigen Schatzsuchen gewesen und obwohl Sioda Arianwen gegenüber oft den Beschützer raushängen ließ, auch wenn sie die eindeutig nicht brauchte, hielt er sich meist mit seiner Sorge zurück. Was war jetzt anders?
Als hätte der Halbniom seine Gedanken gelesen, pfiff er: „Riechst du es nicht?"
Der Kapitän hob den Kopf und schnupperte. Ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf und er schüttelte den Kopf. Sioda rümpfte die Nase. „Es riecht, als wäre etwas gestorben und würde nun verderben. Wie kannst du das nicht riechen? Es stinkt bis zum Wassergrund!"
Lorcan öffnete den Mund und Wasser strömte hinein. Er schmeckte nach und tatsächlich: Kaum befand sich das Wasser in seinem Mund, schmeckte er den süßlich-fauligen Geruch, den er zuvor schon wahrgenommen hatte. Nur war er dieses Mal stärker und der Geschmack von frischem Blut hatte sich dazu gemischt. Korallenkacke! Von wegen ‚das war alt'. Lorcans und Siodas Köpfe schnellten in die Höhe und sie blickten sich hektisch um. Sie hatten denselben Gedanken. Arianwen! Doch die die Niomfe schwamm seelenruhig auf einen der Höhleneingänge zu, drehte sich aber zu ihnen und blickte sie auffordernd an. Als keiner der beiden reagierte, machte sie kehrt und kam auf sie zu.
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Wandernde Sucher
FantasiIn all der Unendlichkeit des Merajotidameeres gab es keinen glücklicheren Niom als Lorcan. Er hat alles, was er je vom Leben wollte: die Freiheit, die Weiten des Meeres zu erkunden, ein Schiff, das ihm ganz alleine gehörte und den besten Beruf überh...